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Dieser Artikel erschien im Tantranetz. Das Tantranetz unterstützt die Information, den Austausch und die Vernetzung aller Interessierten rund um die Themen Liebe, Erotik, Sexualität, Partnerschaft, undogmatische Spiritualität und Tantra. In dem Artikel "Im Alltag gar nicht so leicht: Widerstände gegen tantrische Sexualität" wird klar: verschiedene Menschen begeben sich aus verschiedenen Gründen auf den tantrischen Weg. Aber das ist nicht schlimm, sondern das natürlichste der Welt. Verschiedene Menschen sind somit auch mit verschiedenen Hürden auf dem langen Weg des Tantras konfrontiert…
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Wenn das Gefühl auftaucht, im Liebesbett von der Ewigkeit und ihren zarten Lustgefilden einverleibt worden zu sein und ohne jeglichen Druck miteinander im Fluss der gegenseitigen Wonnen zu baden, ist möglicherweise der tantrische Geist in die Liebesbegegnung eingekehrt. In Zeiten der rosaroten Brille hat er sicherlich ein leichteres Spiel als nach langen, grauen Beziehungsjahren. Aber er ist auch da, wo schonungslos und doch respektvoll Klartext geredet wird und Liebende einander echte Gefühle zumuten. Und er weht dann, wenn Menschen sich trauen, sich selbst treu zu bleiben, anstatt sich für ein Quentchen Liebe zu verstellen und zu verbiegen. Gibt sich der ganze Mensch auch mit seinen Schattenfiguren dem Spiel der Liebe hin, kann er erst jenseits der dichten Nebenschwaden irdischer Verstrickung das tantrische Neuland entdecken.
Tantrische Sexualität kann von selbst geschehen, ohne dass die Liebenden jemals etwas von Tantra gehört haben. Viele machen sich jedoch bewusst auf einen tantrischen Weg, wenn bei der schönsten Sache der Welt auf einmal Leistungsdruck (besser, schneller, häufiger), Langeweile oder Frustration entstehen. Dann lernen sie, die Zeit anzuhalten, um der Gegenwart ins Gesicht zu schauen.
Das Fühlen wird aus seinem Versteck befreit und bringt das eifrige Kopfkino zum Schweigen. Wer dort in Gedanken verloren war, erlebt sich durch die tantrische Welt manchmal wie neu geboren.
Und sicherlich definiert eine jede auch tantrische Sexualität auf ihre Weise. Dennoch werden wohl die Grundpfeiler überall ähnlich oder sogar gleich sein. Für mich findet tantrische Liebe hauptsächlich innerhalb eines festgesetzten Rahmens statt, dem tantrischen Ritual. Natürlich färbt eine regelmäßige Tantra Praxis ab und veredelt auch die sonstige Sexualität. Aber bis zum heutigen Tag nützt mir für die hohe Präsenz einer tantrischen Liebesbegegnung das Ritual, wie Stützräder, wenn man Fahrrad fahren lernt.
Möglicherweise ist irgendwann die menschliche Bewusstheit so hoch, dass Stützräder überflüssig werden und jede Liebesnacht von selbst unter einem wohl wollenden Himmel voller Sternschnuppen reiner Gegenwärtigkeit steht. Ich möchte hier nicht auf das Gestalten von Ritualen eingehen.
Sie hilft, den geschäftigen Alltag loszulassen und von dem Verhaftetsein mit äußeren Dingen und Tätigkeiten, sowie damit zusammen hängenden Gedankenfluten weg und in eine innere Präsenz zu gleiten, um sich selbst und seine momentane Befindlichkeit überhaupt wahrnehmen zu können.
Vermutlich bin ich die einzige in der Tantrawelt, die das innere tantrische Gebet so wichtig nimmt und kultiviert. In einer Art äußerer Geste als Symbol für eine tiefe Hinwendung an den eigenen Wesenskern werden heilsame Kräfte für die Begegnung eingeladen. Das können Eigenschaften wie Hingabe, Wahrheit, Mut, Achtsamkeit sein, aber auch spirituelle Lehrer und Meister, die die gewünschten Eigenschaften verkörpern. Die tantrische Sexualität dient stets der Heilung aller daran Beteiligten. Das Öffnen für eine Dimension, die größer ist als alles, was der Verstand erfassen kann, ermöglicht erst, dass wir uns jenseits des Verstandes miteinander erleben können. Das Anerkennen, dass das, was wir wissen, zu klein ist, um tiefe Liebe und Heilung in Gang zu setzen, katapultiert uns in den endlosen Raum des Nichtwissens, durch den dann heilsame Impulse wirksam werden. Ist auch Tantra keine Religion, so ist diese als Gebet bezeichnete Hinwendung nach innen durchaus religiös im ursprünglichen Sinn: Es ist eine Rückbindung an eine heilsame und hilfreiche Quelle im eigenen Inneren. Wer öfter praktiziert, wird auch immer wieder staunen, wie sich daraus kleinere und größere Wunder ergeben.
Eines ist klar: Der Segen der tantrischen Sexualität kann sich weder unter Zeit- noch unter Orgasmusdruck entfalten. Deshalb machen es die meisten frisch Verliebten intuitiv richtig. Sie schwelgen stundenlang unbegrenzten Raum der Zärtlichkeit miteinander und vergessen alles rundherum.
Jedenfalls brauchen wir Langsamkeit und daher genug Zeit, um in uns hinein spüren, d.h. den Spuren im Inneren folgen zu können. Denn wie soll ich mitteilen, was ich brauche, wenn ich im Rausch des Geschehens nicht die Gelegenheit habe, nach innen zu fühlen?
1. Verankern in der Gegenwart durch bewusstes Atmen
2. Kommunikation und der offene Austausch
3. Absichtslosigkeit im Geben und Nehmen
4. Einbindung in das Größere (siehe oben)
Aber so viel soll zur Erklärung gesagt werden: Bei tantrischer Sexualität ist die Verbindung zum anderen und zum eigenen Inneren wichtiger als jeglicher sexueller Egotrip oder das Gefangensein in Triebbefriedigung und Orgasmusfixierung. Diese Dinge können und sollen natürlich nicht einfach abgestellt werden. Aber sie können kommuniziert und dadurch auf gewisse Weise entlarvt oder entschärft werden, so dass Raum für Neues daraus erwächst.
… ist wohl eine der größten Herausforderungen. Sie bedeutet letztendlich, dass alle offenen oder heimlichen Ziele losgelassen werden und man miteinander schaut, was wirklich ist, was wirkt und was geschehen möchte, anstatt alten Vorstellungen nachzujagen. Das ist besonders dann heikel, wenn rasante sexuelle Lust im Spiel ist und sich Bahn brechen will, auch auf Kosten des anderen. In hoher Erregung innehalten zu können und beieinander zu bleiben, auf die Gefahr hin, dass sich die Lust davon schleicht, ist Teil des tantrischen Weges.
Absichtslosigkeit bedeutet letztendlich auch, dem Partner mit der eigenen inneren Haltung zu sagen: „Ich verzichte darauf, Dich ändern zu wollen, und übernehme für alles Verantwortung, was ich fühle und was unter Umständen durch Deine Gegenwart in mir ausgelöst wird.“
Viele Teilnehmer erklimmen unter der fachkundiger Anleitung bei Tantraseminaren so manche tantrische Himmelsleiter. Beim Versuch, dem sexuellen Alltag ähnliche Erfahrungen abzutrotzen, scheitern sie jedoch und kommen und suchen um Rat. Die Antwort ist einfach und schwierig zugleich. Wer meint , ohne den Rahmen und die Pfeiler auskommen zu können und es auf seine eigene Weise zu tun, bleibt eben immer am Gewohnten hängen. Sich ins Reich des Nichtwissens miteinander vorzuwagen und sexuelle Vorstellungen loszulassen scheint ein schwerer Verzicht, den man nicht bereit ist zu leisten. Dabei wäre es so leicht, ein paar Minuten innezuhalten und leise in den Raum einladende Worte mit der Bitte um Hilfe und Heilung zu sprechen.
Ich bin nicht Bibel fest. Aber schon dort heißt es: „Bittet, so wird Euch gegeben. Klopfet an und es wird Euch aufgetan.“ Aus eigenem Erleben kann ich diese Aussagen nur bestätigen. Nur: man muss es eben tun. Der Glaube erwächst dann aus der Erfahrung. Und wer sich das im Alltag traut, dem öffnen sich Türen und Tore.
Und da sind wir endlich beim eigentlichen Thema angelangt.
Warum also tun Menschen nicht die Dinge, die hilfreich sind und sie glücklich machen? Nicht nur beim Sex, sondern auch in den Bereichen Ernährung, Bewegung, Gesundheit usw. Was hindert uns daran, das Glück mit vollen Händen zu empfangen?
Eine tantrische Sexualität ist nicht nur Honigschlecken. Im Gegenteil. Da sie der Wahrheit verpflichtet ist und sich durch die miteinander geteilte Wahrheit überhaupt erst entfaltet, kommen alle Karten auf den Tantra-Tisch, die wir sonst verbergen oder verdrängen. Wer schafft es schon, zuzugeben, seit Jahren Orgasmen vorgetäuscht zu haben, nebenbei Internetsex alleine zu pflegen, keine Lust mehr zu spüren oder Lust auf andere zu haben, Sex wegen Erektionsproblemen zu vermeiden usw.? Wer kann Auge in Auge gestehen, nichts zu fühlen, immer nur ans Geschäft zu denken, nicht da sein zu können? Von größeren Geheimnissen wie Außenbeziehungen ganz zu schweigen. In der Präsenz und Offenheit eines tantrischen Rituals dürfen wir manchmal reines lustvolles Himmelsbrot miteinander naschen. Ein anderes Mal zeigen sich eben wie durch ein Vergrößerungsglas die nicht besprochenen Beziehungsthemen und ruinieren uns die Hoffnung auf ein lustvolles Abenteuer. In einer tantrischen Sexualität sind wir uns gegenseitig eine Zumutung, und das ist richtig so. Wir machen es einander nicht recht, indem wir schwelende Konflikte wegradieren, sondern wir schauen allem, was sich zeigt mutig in die Augen. Indem wir dabei lernen, mehr und mehr zu uns selbst zu stehen, betreten wir immer verletzlichere Räume und geben die dichten Schutzwälle aus Abwehrmechanismen auf. Dadurch erwachen wir zu einer neuen Sensibilität und einer feineren Wahrnehmung.
Widerstand gegen tantrische Sexualität kann also etliche Ursachen haben. Sie nehmen vielleicht verschiedene Formen an, lassen sich jedoch letztendlich alle auf Angst zurück führen. Ein paar konkrete Beispiele für die diffuse Angst:
Präsenz und die Verbindung miteinander sind in der tantrischen Sexualität wichtiger als alles andere. Insofern ist so ein gemeinsamer Weg manchmal ein Weg der Läuterung hin zur Demut. Er begünstigt das Hineinwachsen in die volle Selbstverantwortung und das Loslassen des Schuldspiels. Eine tantrische Sexualität ist insofern radikal und ernüchternd. Gleichzeitig befördert sie uns gerade dadurch manchmal in himmlische Gefilde. Harmonie entsteht dann nicht durch Vermeiden von Konflikten und Gefühlen, sondern durch das gemeinsame Durchwaten aller noch so merkwürdigen Klänge und Missklänge, die aus der Echtheit der einander zugemuteten Gefühle entstehen.
Im Laufe eines tantrischen Weges verliert der schöne äußere Schein mehr und mehr an Bedeutung und es schält sich das Wesen und das Wesentliche aus dem Inneren heraus. Das führt uns miteinander in die Tiefe und entlässt uns auch da und dort in ein neues Leben, wenn der gemeinsame Weg zu Ende geht.
… und ich lieber Wäsche aufhänge oder den verabredeten Termin verschiebe, kann ich mich fragen: Was gibt es, was ich nicht sehen möchte? Wovor habe ich Angst? Was akzeptiere ich an mir oder an meinem Partner nicht? Was möchte ich am liebsten verheimlichen? Woran halte ich fest?
Tantrische Sexualität ist eine Einladung, ein Lebensweg und eine Wahl, die Mut erfordert. Die Widerstände dagegen ähneln sehr den Widerständen gegen ein erleuchtetes Leben in Nichtwissen und reiner Gegenwärtigkeit. Tantra ist ein Weg der Befreiung. Wer sich diesem Weg zuwendet, hat letztendlich keine Wahl mehr, auch wenn das paradox klingt: „Die Gefängnistür steht offen. Nur dein Wunsch zu bleiben, hält dich gefangen.“ (aus ein Kurs in Wundern).
Artikel von Regina Heckert, August 2016, erschienen im Tantranetz
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