@Len Lieber Len, schön, dass Du schon die offene und ehrliche Kommunikation als das A und O einer erfüllenden Beziehung erkannst hast. Das macht das Leben uns das Lieben gleich viel erfüllender und leichter. Auch wenn manchmal eine Hürde zu nehmen ist, schambehaftete Dinge anzusprechen. Ich wünsche Dir weiterhin eine glückliche Beziehung.
Wie kommt der Kopfkissenzipfel ins Liebesbett?
In Liebesdingen und besonders wenn es um die eigenen Bedürfnisse in der Sexualität geht, verstummen die sonst so redefreudigen Frauen oftmals. Schamgefühle und mangelndes sexuelles Selbstwertgefühl verschlagen ihnen die Sprache. Manchmal kennen Frauen auch noch gar nicht ihre wirklichen sexuellen Bedürfnisse. Sie haben bisher nur mitgemacht, was vom Mann kam. Das allerdings wird der Sexualität der Frau meistens nicht gerecht. So strengen sich zum Beispiel Frauen an, beim Tempo und bei der Art der Sexualität mit dem Mann mitzuhalten oder ihm eine gute Geliebte zu sein.
Dabei bleibt aber womöglich die eigene Lust völlig auf der Strecke. Dass die sexuellen Mitteilungsmöglichkeiten von Frauen noch in den Kinderschuhen stecken, darf uns nicht wundern. Schließlich hat sich die Lust-Welt der Frauen vor circa fünfzig Jahren noch völlig anders gedreht.
Stellt euch doch mal eure Großmutter im Winter im Liebesbett vor: In der Regel waren die Schlafzimmer nicht geheizt. Was konnte da bei klirrender Kälte wohl an frauenfreundlichem Lieben möglich sein? Bei meiner Großmutter zum Beispiel war öfter mal der Urin im Nachttopf gefroren. Tatsächlich - das war normal und niemand fand das komisch. Und neben der klirrenden Kälte im Schlafzimmer tat die Religion ihr übriges. Sex war demnach hauptsächlich zum Kinderkriegen da und vielleicht noch als eheliche Pflicht ein Dienst am Mann. Eine Frau mit sexuellem Appetit, die das öffentlich bekannte, befand sich schnell am Rand der Gesellschaft. Zwischen Heiliger und Hure gab es keinerlei Verbindung oder Begegnung, sondern nur ein Entweder-Oder.
Und aus diesem kollektiven Jahrhundert-Dornröschenschlaf erwachen wir gerade erst seit ein paar Jahren. Kein Wunder, dass die sexuelle Verbannung noch so mancher Frau in den verschreckten Lustporen sitzt. Aber trotz alledem haben wir doch schon beachtliche Fortschritte erzielt, oder? Die Lust der Frau ist ein salonfähiges Thema geworden, und sogar ihr Orgasmus wird rege erforscht. Dennoch fühlt sich die einzelne Frau beim Sex oftmals hilflos und alleine gelassen, wenn sie als Pionierin sich und ihre aufkeimende Freude an der Lust dem Mann gegenüber vertreten soll.
Eine Teilnehmerin eines Tantra Frauenjahres (damals sieben Wochenenden über ein Jahr verteilt) traute sich erst am Ende über ihr sexuelles Rätsel zu sprechen. Sie beklagte sich, dass Sex mit Männern einfach nicht schön für sie wäre. Sie sei dabei auch noch nie zum Orgasmus gekommen, während sie bei der Selbstbefriedigung keinerlei Probleme hätte.
Daraufhin fragte ich sie, wie genau sie sich bei der Selbstbefriedigung zum Höhepunkt bringt. Der Schreck stand ihr im Gesicht und es dauerte noch eine ganze Weile, bevor sie bereit war, sich dem geschützten Kreis der Frauen anzuvertrauen. Sie gestand, dass sie nur zum Orgasmus kam, wenn sie sich - auf dem Bauch liegend - an einem Kopfkissenzipfel, der zwischen ihren Beinen lag - hin und her rieb. Nur so gelang es ihr.
"Kein Wunder", wollte ich sie ermutigen, "dass das dann beim normalen Liebesspiel nicht funktioniert. Das sind ja ganz andere Bewegungen und Berührungen." Schließlich schlug ich ihr vor, mutig das Tor der Peinlichkeit zu durchschreiten und beim nächsten Mal das Kopfkissen beim Sex zu integrieren. "O nein", stöhnte sie, "das traue ich mich nicht, nie, niemals."
So geht es vielen Frauen mit ihren sexuellen Eigenheiten. Sie meinen, sie seien nicht normal und haben Angst vor der vielleicht abweisenden oder spottenden Reaktion des Mannes. Also sagen und zeigen sie ihm nicht, was sie wirklich brauchen und machen stattdessen Dinge mit, die definitiv nicht zielführend sind, was den Orgasmus betrifft.
Da ist noch viel zu tun in der Frauenwelt. Ich sehe die weibliche Lust eher wie ein Entwicklungsland - mit noch reichlich Potenzial und Luft nach oben. Wir haben eben erst begonnen. Jede Frau, die sich zu ihrer Lust hin entwickelt, ist tatsächlich eine Pionierin beim kollektiven Aufwachprozess zur weiblichen Dimension der Lust.
Und bei diesem Akt der Befreiung gibt es vermutlich keinen Weg am Tor der Peinlichkeit vorbei. Der Weg führt stattdessen mitten hindurch. Denn solange wir aus Angst vor Peinlichkeit schweigen, bleiben wir unerlöst im alt gewordenen Lust-Gefängnis sitzen und sind unglücklich.
Ich erinnere mich gut daran, als ich bei meinem ersten Freund nach fast zwei Jahren Orgasmen vortäuschen beschlossen habe, das Tor der Peinlichkeit zu durchschreiten. Ich war orgasmusfähig, aber damals noch nicht beim reinen Geschlechtsverkehr, sondern nur klitoral. Ich rief ihn morgens schon an, und sagte ihm, dass ich ihm abends etwas Wichtiges sagen müsste. Denn sonst hätte ich den Rückzieher gemacht, als er ins Zimmer hereinkam. Also erzählte ich ihm aufgeregt alles und zeigte ihm, wie es bei mir funktionierte. Uff, das war wie Schwerstarbeit. Vorher und währenddessen jedenfalls. Danach war es nur befreiend und ich hatte nie mehr dieses Versagensgefühl jedesmal nach dem Sex.
Wenn du das liest, frage dich als Frau: Was ist mein Kopfkissenzipfel? Was traue ich mich nicht, zu sagen und zu zeigen? Und könnte ich einen Schritt heraus aus meinem Gefängnis machen?
Und für euch Männer: Wie würde es dir gehen, wenn die Frau das Kopfkissen mit ins Bett bringt und dir genau seine Funktionsweise erklärt? Wie würdest du reagieren?
Ich freue mich total über Eure Kommentare und eigenen Geschichten. So können wir einander Mut machen und weiterwachsen.
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Lieber Sven,
hast du dir Reginas Livestream am Samstag angeschaut? Mir hat die direkte Demonstration aufjeden Fall noch mal Mut gemacht, meinen Partner offen anzusprechen. Am Sonntag kam es zum Sex und ich habe mich zum allerersten Mal getraut seine Hand behutsam an die Stelle zu rücken, die mir gefiel. Er war total im Flow und hat mitgemacht. Es war wirklich gut. Zwar hatte ich noch keinen Orgasmus, aber ich denke, ich bin auf dem besten Weg dazu. Mutig sein lohnt sich also, lieber Sven.
GlG Ute
Liebe Regina,
wieder mal ein sehr interessantes Thema. Ich selbst habe auch einige Jahre gebraucht, um mit meiner Partnerin zu 100% offen sprechen - und vor allem ihr meine Bedürfnisse kommunizieren - zu können. Dank dieser Grundlage kommt es mittlerweile nicht mehr zu Streitigkeiten und Missverständnissen. Zudem wissen wir beide jetzt ganz genau, welche Berührungen den anderen direkt in den 7. Himmel befördern :-) Wie man sieht ist offene Kommunikation das A und O einer gesunden Beziehung und ich wünsche den anderen Mitlesern hier den Mut, ihre Wünsche zu äußern! Es lohnt sich.
Ganz liebe Grüße,
Len
@Sven Lieber Sven, die ehrliche Kommunikation in der Sexualität steckt trotz aller Aufklärung noch tief in den Kinderschuhen. Wir müssen tatsächlich jedesmal die Scham- und Tabugrenze überwinden und durch das ungeliebte Tor der Peinlichkeit gehen, um manches ansprechen zu können. Und jedesmal, wenn wir das tun, ist es ein Akt der Befreiung für uns und für andere! Danke für Deine Beteiligung hier!
@Petra DD Ja, leider können wir unsere Großeltern nicht mehr fragen, liebe Petra. Und erotische Stunden gab es sicher auch. Aber meine beiden sehr katholischen Großmütter hätten mir meine Fragen nach ihrer Sexualität sicherlich nicht oder nur sehr schamerfüllt beantwortet. Und beide hatten im Winter tatsächlich eiskalte Schlafzimmer. Ja, jedes Alter hat seine Herausforderungen. Bei mir ist - was die Lust betrifft - auch nicht mehr üppiger Frühling, der von selbst drängt und keine Wahl mehr lässt :-) Aber ich genieße umso mehr die sanften Formen des Liebens und die tiefe Herzverbindung. Schön, was Du über die bewusste Zeugung Eures Kindes schreibst und erlebt hast.
Liebe Regina, wenn mir meine Frau sagen würde, was sie braucht, wäre es für mich ein großer Vertrauensbeweis sein und würde eine tiefere Beziehung zwischen uns öffnen. Aber ich kann meine Frau verstehen, ich selber kann meine Bedürfnisse auch nicht artikulieren. Leider, aber ich übe :-)
Herzliche Grüße Sven
Liebe Ute, mir geht es als Mann genauso wie Dir beschreibst. Warum fällt es uns so schwer in die gemeinsame Kommunikation zu gehen? Herzliche Grüße Sven
Liebe Regina,
als ich jung war, da konnte ich nicht sagen wie und was mir gut tut, weil ich es selbst nicht wusste.
Später in der Ehe wusste ich es noch immer nicht und die Sache im Bett lief meist wie im Artikel beschrieben. Mit einer Ausnahme: Der Akt der unsere Tochter zeugte. Eigentlich war daran nichts anders, aber ich spürte eine Erfüllung, ein tiefes inneres Glücksgefühl und mir liefen die Tränen.
Noch später mit Tantraerfahrungen weiß ich mich besser auszudrücken, was ich mag und wie es mir geht. Doch nun bleibt die Lust aus.
So hat wohl jedes Alter seine Schattenseiten und seine Spätsommerstunden.
Übrigens hatten unsere Großeltern gewiss auch erotische Stunden. Denke man an "das Bad auf der Tenne", an den Tanz unter der Linde mit Livemusik, an Nächte im Heu … Was wissen wir von unseren Großmüttern wirklich? Ich wünschte, wir könnten sie fragen!
Herzensgrüße Petra (DD)
Liebe Regina,
ich habe deinen Blogeintrag mit großer Aufmerksamkeit gelesen, denn die Thematik betrifft mich seit meiner ersten sexuellen Erfahrung selbst. Sogar in meiner langjährigen aktuellen Partnerschaft erwische ich mich häufig dabei, wie ich meine eigenen Bedürfnisse zurückstelle und die Lust und Erwartungen meines Partners priorisiere. In mir spüre ich in solchen Momenten eine große Angst, meinem Mann die Berührungen zu zeigen, die mir gefallen würden. Absurderweise schäme ich mich dafür und bin froh, wenn er sexuell befriedigt ist. Dadurch plagt mich eine große Unzufriedenheit. Ich werde mir am Samstag deinen Livestream auf Facebook anschauen und hoffe, dass ich mich mit deiner Hilfe endlich überwinden kann, zu zeigen, was ich brauche.
Lg Ute