Was möglich ist, wenn man sich von Anfang an treu bleibt

Obwohl diese Liebesbegegnung – Highlight und Abschluss meiner ausgiebig gekosteten Singlezeit – schon so lange her ist, erinnere ich mich an jedes ihrer zauberhaften Details. Vermutlich wird das so bleiben bis an mein Lebensende. Mit Martin habe ich ein wahres Meisterwerk begnadeter Liebeskunst erleben dürfen. Die Funken dieser einen Nacht beglücken mein ganzes Leben, vielleicht gerade deshalb, weil sie so einmalig war und auch einmalig bleiben durfte.

In meinem verwaschen blauen Leinenkleidchen hüpfte ich die breite, staubige Straße hinunter. Schon wieder so ein makellos sonniger Tag. Frei und glücklich, einverstanden mit Gott und der Welt, genoss ich es, in einem Seminarzentrum in Kalifornien Himmel blaue Wochen verbringen zu dürfen. Ein Lächeln umspielte meine zweiundvierzig jährigen Lippen. Da tauchte die Silhouette eines Mannes auf, der mir von weit unten entgegenkam. Mit jedem seiner Schritte schälte er sich mehr aus der Verschwommenheit der Ferne heraus.

Irgendetwas in mir zwang mich zur Langsamkeit. Wunderschön sah er aus und meine Beine stellten um auf Schneckentempo. Wir liefen direkt aufeinander zu, jetzt fast in Zeitlupe, bis wir – zwei völlig Fremde – voreinander zum Stehen kamen. Mein Verstand verfiel für einen Augenblick in Schockstarre und rang nach Worten. Doch da lächelte mir schon ein freundliches „Hallo!“ entgegen, das ich etwas ungeschickt erwiderte. Ohne Worte schauten wir uns an. Wer als erstes wieder die Fassung fand, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls huschte ein kleiner Smalltalk zwischen uns hin und her. „Wir könnten uns heute Abend dort drüben bei der Disco treffen!“ meinte er schließlich und entließ mich aus dem süßen Bann. Ich hüpfte beglückt weiter, bis ich die Rezeption erreicht hatte, wo ein Fax für mich angekommen war. Es war von meinem Liebsten zuhause. Er verkündete unsere Trennung, da er nicht länger bereit war, meine sexuellen Freiheitsanwandlungen hinzunehmen. Das Herz brach mir auf der Stelle. Ein verheißungsvoll begonnener Tag zerfiel in einen stundenlangen Kollaps.

Schluchzend lag ich in meinem Zimmer, als drei meiner Freundinnen mich gemahnten, mich für die Disco fertig zu machen. Mit aufgequollenen Augen und zermürbter Seele weigerte ich mich. Bis heute bin ich dankbar, dass sie auf mich eingeredet haben: „Du kannst doch auch deine Traurigkeit tanzen. Du musst gar nicht anders sein als du bist. Niemand muss sich verstellen, um tanzen zu können!“ Das überzeugte mich. Den Schicksalswink vom Vormittag hatte ich längst vergessen. Nun traute ich mich zum ersten Mal in meinem Leben, in einem völlig hoffnungslosen Zustand tanzen zu gehen. Die Disco war Gott sei Dank unüberschaubar voll und lichtgedämpft. Tausend Leute fasste sie, und ich glaube, dass sich etliche weitere hineingemogelt hatten. Mitten in der Menschenmenge und doch abgekapselt tanzte ich vor mich hin. Kurz dachte ich an den schönen Fremden. Ihn hier zu finden, war aussichtslos. Wusste ich überhaupt noch, wie er aussah? Zudem war ich nicht im Geringsten kontaktfähig und völlig verheult. So ergab ich mich lieber in mein Schicksal. Nach einer Weile war ich auf seltsame Weise sogar in meinem bitterem Schmerz wieder eins mit Gott und der Welt.

Da blitzte aus heiterem Himmel ein feuriges Augenpaar auf. Innerhalb von einer Sekunde riss es mich heraus aus meiner Leidenstrance. Er war da. Tatsächlich hatte mich dieser Mann entdeckt. Lächelnd katapultierte er mich mitten in eine prickelnde Gegenwart hinein.

Was jetzt geschah, kann in keine noch so schönen Worte gekleidet werden. Wir tanzten durch die ganze Tastatur des Klaviers. Keinen einzigen Ton ließen wir aus: Zart, ja hauchfein wiegten wir uns zu Musik und Rhythmus. Unsere Körper streiften sich nur ganz sachte. Dann kamen leidenschaftliche, sehr handfeste Takte, bei denen wir uns kraftvoll umgarnten und uns bisweilen sogar fest ineinander gekrallt im Rhythmus auf dem Boden wälzten. Hin und her, vor und zurück, nach oben, nach unten: Schier unendliche Male loteten wir das Tanzorchester der Liebe aus und verdrehten uns die Köpfe nach allen Regeln der Kunst.

In der Pause stellte mich Martin seinem blinden Freund Carter vor, der am Rande der Tanzfläche sehr glücklich schien und sich zur Musik wiegte. Dann liebtanzten wir weiter, bis die Musiker schließlich den wenig verbliebenden Tänzern auf fast leerer Tanzfläche den Hahn zudrehten.

Mild und sternenklar empfing uns draußen die Sommernacht. Zu uns beiden gesellten sich Carter und die pausenlos schnatternde, etwas aufgetakelte Frau in seinen Armen. Martin lud alle zusammen in seinen Wohnwagen ein. Der Zauber der Tanznacht pulsierte noch in meinen weit geöffneten Poren und begann sich auf einmal zu sträuben. Unbehagen machte sich breit. Ich merkte, dass ich mich irgendwie in die falsche Richtung bewegte. Es fühlte sich komisch an, den anderen zu folgen, ohne dass ich genau sagen konnte, warum. Die schrille Stimme der Frau drangsalierte jede meiner Nervenfasern. Ich blieb stehen: „Martin, ich weiß nicht, was jetzt für mich richtig ist. Ich brauche ein bisschen Zeit, um es herauszufinden. Carter und seine Freundin brauchen nicht auf uns warten.“ Ich setzte mich auf einen riesigen Felsbrocken, der immer noch von der heißen Tagesglut aufgewärmt schien und schloss meine Augen. Martin ließ sich auf den Nachbarstein nieder und signalisierte, auf mich zu warten.

In meinem Inneren tobte es: „Um Himmels willen, ich weiß ja gar nicht, was ich jetzt am liebsten möchte: Alleine sein? Nein, das wäre schade. Wohnwagen? Auch nicht. Was dann? Los, beeile dich! Du kannst Martin doch nicht einfach hier sitzen lassen. Entscheide dich. Na, mach schon. Warum in aller Welt gehst du nicht einfach mit?“ Millionen Gedanken schienen um meine Aufmerksamkeit zu buhlen, und mir das Tor zu mir selbst zu versperren. Es wurde einfach nicht still. Ich blinzelte durch die unmerklich geöffneten Lider. Er saß noch da, schien selbst ganz versunken zu sein. Da holte ich tief Luft. Es dauerte lange, bis sich auf einmal der tosende Verstand ergab. Stille trat ein. Da hörte ich die Sprache der Liebe fragen: „Wenn du
nur dich selbst jetzt glücklich machen müsstest, was würdest du dann am liebsten tun?“ Ich lauschte in mich hinein. Heitere Freude kam auf. Nach gefühlten Ewigkeiten, nach heutiger Schätzung etwa einer halben Stunde, öffnete ich meine Augen: „Martin, ich wünsche mir, dass jeder von uns beiden jetzt alleine duschen geht. Wenn du in einer halben Stunde in meinem Zimmer klopfst (ich zeigte ihm die Richtung und sagte
ihm die Zimmernummer), bin ich soweit!“ Sein wissendes Lächeln küsste mich durch die laue Luft. Wir verschwanden im Dunkel der Nacht.

Als mein Tanzschweiß weggeschwemmt war, verwandelte ich mit ein paar Handgriffen, Tüchern, Kerzen und sanfter Musik das nüchterne Hotelzimmer in einen kleinen Liebestempel. Mein Herz pochte in lustvoller Erwartung. Wie gerne erhörte ich sein Klopfen – auf die Minute genau.

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Achtsam und staunend betrat er den Raum und nahm Platz. Wortlos saßen wir einander gegenüber. Unsere Hände fanden sich. „Gehst Du mit mir noch für einen Moment in die Stille?“ Das tat er gerne. Meine Augen fielen zu. Ich widmete in einer Art innerem Gebet die gemeinsame Zeit der Liebe und der gegenseitigen Heilung, genoss noch eine Weile unser Schweigen in all seiner zärtlichen Ewigkeit. Dann tauchte ich auf. Das Spiel begann. Wir loteten alle Ecken des Bettes genauso aus wie zuvor den Tanzsaal mit seinen grenzenlosen Möglichkeiten. Engelsgleich umhüllten und durchdrangen wir uns, versanken in unseren Augen, beschenkten uns mit tränennassen Liebesworten, überließen unsere Körper dem Kampf praller Leiden- schaft, redeten, genossen die Stille und fragten uns aus: Ja, wir beide waren Freigeister und wollten es auch bleiben. Niemand sollte uns im Namen der Liebe einfangen und an die Beziehungskette legen. Da waren wir uns einig. Wie eine Liebesmelodie sang ich seinen Namen in sein Ohr. „O bitte nochmal, nochmal!“ bettelte er. Scheinbar von selbst verschwanden die Hüllen zwischen uns. Wir erkundeten einander bis hinein in die verborgensten Winkel. „Meine Brüste würde ich am liebsten vor dir verstecken, weil sie nach langer Stillzeit nur noch wie zwei leere Hautsäckchen aussehen.“ Er sah sie liebend an, hielt sie unter seinen ebenmäßigen Männerhänden, beschenkte sie mit sorgfältiger Zartheit. Tränen rannen über meine Wangen, während er unter seinen fast heiligen Liebkosungen meine beklemmende Scham einfach wegschmelzen ließ.

Unsere ehrlichen Worte – er gestand mir nach einigem Zögern auch sein Alter – öffneten die letzten Poren und wir waren so unendlich bereit füreinander. Verspielt und schäkernd streifte ich ihm schließlich das Kondom über. „Legst Du Dich auf mich?“ lud ich ihn ein. Sein Liebesstab lag bereit an meiner offenen Pforte. „Ganz, ganz langsam“, flüsterte ich. Millimeter für Millimeter kam er zu mir, bis er im tiefsten Inneren ankam. Umschlungen und doch ohne Bewegung lagen wir ineinander, während das heiße Blut durch die lüsternen Adern quoll. „Lass uns noch eine Weile ganz still bleiben, Martin“, flüsterte ich.“ Unsere Körper gehorchten. Ich trank seine Augen und saugte mich voll mit Liebesglut. „Spürst Du mich?“ fragte er. „O ja, das tu ich. Ich spüre Dich überall.“ Ganz wach achteten wir aufeinander. Nein, eigentlich orientierte eher er sich an meinem Körper, seinen Signalen und meinen liebevoll führenden Worten. Sein Becken antwortete zart auf meine kleinen Wellenbewegungen. Berge und Täler wechselten sich ab. Was für ein Liebeskünstler! In keiner Minute bedrängte mich seine üppige Lust. Sie war einfach ganz für mich da und begleitete mich durch einige Höhenflüge, bis er sich schließlich vom letzten Gipfel mitreißen ließ. Wir lachten uns die Seele aus dem Leib, während unsere Körper entspannt nach unten sanken.

Meistens bat ich nach einer Ruhephase an dieser Stelle irgendwann meine vergangenen Liebhaber, zu gehen, angeblich, weil ich zu zweit im Bett nicht gut schlafen kann. In Wahrheit wollte ich einfach nur alleine sein und ohne weitere Verpflichtung aufwachen. Jetzt hörte ich mich fragen: „Schläfst du hier bei mir?“ „Wie kannst du nur glauben, dass ich jetzt weggehen könnte?“ antwortete er, so herzensoffen, so sanft, so satt und liebtrunken wie ich. Ganz miteinander verschmolzen verschliefen wir die kurze Zeit, bis der Morgen uns wach küsste. Ich sehe uns noch heute angezogen nebeneinander auf dem Bett sitzen. Ohne Worte war uns klar, dass wir uns nie mehr wieder sehen würden. Seine Tränen vermischten sich mit meinen bei unseren ehrfürchtigen Abschiedswehen. Wir hielten uns aneinander fest, als wollten wir uns wider besseres Wissen niemals loslassen.

Ein Herz und eine Seele – voller Glück und Dankbarkeit – ja, das waren wir. Die Tür fiel ins Schloss und ein Schmerz durchbohrte meine Brust. Ich atmete durch und weinte vor Glück und vor Weh. Eine halbe Stunde später liefen wir uns noch einmal über den Weg. Er steckte mir einen Zettel zu. „Für den Fall des Falles!“ sagte er.

Auf dem Zettel stand seine Adresse. Einen halben Tag trug ich sie spazieren. Dann zerriss ich sie und streute sie in den Wind. Diese Nacht war vollkommen. Eine himmlische Sternschnuppe, ein Geschenk. Nichts wird jemals dieses Erlebnis übersteigen. Es war einmalig und durfte, ja musste einmalig bleiben. Es konnte nicht verbessert, nicht ergänzt, sondern nur geschmälert und zerstört werden. Woher ich das weiß? Keine Ahnung, aber ganz tief innen weiß ich es mit Sicherheit.

Zwei Jahre später – ich wohne für einige Wochen in Berlin bei einer Freundin – bekomme ich einen Anruf aus Kalifornien. Carter hat mich aufgespürt. „Martin kann diese Nacht nicht vergessen. Kommst Du dieses Jahr wieder nach Kalifornien?“ „Nein, Carter, ich werde in zwei Wochen heiraten.“ „Dann sprich ihm wenigstens ein paar Worte auf seinen Anrufbeantworter. Er ist zurzeit unterwegs und freut sich sicherlich.“ Das tue ich. Das Herz der liebenden Erinnerung schlägt lauter als sonst: „Lieber Martin. Auch ich werde diese Nacht mit dir niemals vergessen. Sie war einmalig und leuchtet bis an mein Lebensende wie ein himmlischer Diamant in meinem Herzen. Ich danke Dir für jede einzelne, so kostbare Sekunde. Inzwischen bin ich kein „Freigeist“ mehr. In zwei Wochen werde ich den Mann heiraten, den ich liebe. Zum ersten Mal im Leben bin ich gerne treu, wenn ich mir das auch nie vorstellen konnte. Wir beide werden uns nicht mehr wiedersehen. Und doch bist du für immer in meinem Herzen. Lass es dir gut gehen. Adieu!“

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