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Wer bin ich? Die große Verwechslung

Ist Johns Tod tragisch?
BeFree Tantra Artikel: Wer bin ich?

 

Dieser Artikel erschien im Connection-Magazin. Das Connection-Magazin - unter Regie von Sugata Wolf Schneider - widmete sich über 30 Jahre lang tantrischen Themen. Dabei war Regina Heckert viele Jahre Autorin bei Connection und veröffentlichte regelmäßig  Artikel rund um die Themen Tantra, Meditation und Spiritualität.

In ihrem Artikel "Wer bin ich? Die große Verwechslung" geht Regina Heckert eben dieser Frage auf den Grund: "Wer bin ich?" Ihre Antwort: "Wer, wenn nicht ein trügerisches Selbstbild?".

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Ist Johns Tod tragisch?

„Wenn ein Fisch in deinem Aquarium geboren wird und du ihn John nennst, ihm eine Geburtsurkunde ausstellst und etwas über seine Familiengeschichte erzählst, und er dann zwei Minuten später von einem anderen Fisch gefressen wird – das ist tragisch. Aber es ist nur tragisch, weil du ein separates Selbst projiziert hast, wo es gar keins gab. Du hast einen Bruchteil eines dynamischen Prozesses zu fassen gekriegt, einen Tanz der Moleküle, und ein getrenntes Wesen daraus gemacht. Im Wasser überleben die meisten Lebensformen nach ihrer Geburt nicht länger als einige Minuten. Die menschliche Form wird auch recht schnell zu Staub, und wenn sie vergangen ist, dann ist es so, als hätte sie es nie gegeben. Ist das tragisch oder grausam? Nur wenn du für jede Form eine getrennte Identität erschaffst, wenn du vergisst, dass ihr Bewusstsein Gott-Essenz ist, die sich selber als Form ausdrückt. Aber du kannst das nicht wirklich wissen, bevor du deine eigene Gott-Essenz als reines Bewusstsein erkannt hast.“ (Aus: Eckhart Tolle, Jetzt! Die Kraft der Gegenwart  J. Kamphausen Verlag S.111)

Trennung

Es dauert eine Weile, bis ein kleines Kind seinen Namen sprechen kann. Schon lange davor  reagiert  es auf den Klang seines Namens. Bald bemerkt es, dass andere Leute es anschauen, wenn sein Name genannt wird. Die Identifikation mit einem Klang und einer Gedankenform beginnt. Schließlich lernt es, alles zu benennen, was es sieht, hört, riecht, schmeckt und fühlt. Die ursprünglich reine Wahrnehmung des Kindes tritt zunehmend in den Hintergrund zugunsten von abstrakten Begriffen. Hat es vorher in einer Art präsenter Gedankenleere einfach nur geschaut, lernt es nun, alles, was es sieht, mit einem Wort zu versehen. „Da steht ein Baum“. Die isoliert betrachteten äußeren Objekte werden zu Worten, die Worte zu Gedanken, und diese bevölkern als innere Objekte die Welt des Verstandes

 

Worte und Gedanken fügen jedoch der Wahrnehmung nichts hinzu. Im Gegenteil – sie trennen von der unmittelbaren Erfahrung ab. Scheint die Sonne mehr oder wärmt sie besser, wenn ich sage oder denke „O, die Sonne scheint“?  

So entsteht im Laufe der Kindheitsjahre ein komplexes Denksystem, das immer mehr zu einer Ersatzwirklichkeit wird, die sich nur noch im Kopf abspielt. Das Leben wird gedacht, statt gelebt. Im wahrsten Sinn des Wortes ist der Mensch „in Gedanken verloren“.  Eine sonderbare, selbst gebastelte, wechselhafte, ja widersprüchliche Ideenwelt  formt Urteile, Überzeugungen und Emotionen.  Die große Verwechslung ist vollendet.

Das Spielfeld ist eröffnet

Die Zerlegung der sichtbaren Welt in benennbare Einzelstücke beinhaltet auch die eigene Zerstückelung: „Meine Hand, mein Fuß, mein Pups!“ Zu diesen ersten Bausteinen eines  entstehenden Selbstbildes gesellen sich weitere Merkmale: Talente, Fähigkeiten, Schwächen, Defizite, vererbte oder anerzogene Verhaltens- und Denkmuster verschmelzen zu einem „Ich“-Gefühl.  Gigantisch viele solcher Selbstbilder tummeln sich miteinander in der Welt, dem großen Rummelplatz des Lebens, der bei der Geburt sein Spielfeld eröffnet und seinen Feierabend ausruft, wenn das Körperkleid beim Tod wieder abgestreift  wird.

 

Der Verstand übernimmt die Führung über ein Leben, das in Wahrheit in keine noch so schön von ihm gestaltete Schublade passt. Die schier unendliche Vielfalt der Dinge dieser Welt bezaubert  und nimmt gefangen. Mehr noch, sie sorgt dafür, dass der innere Kanal der Erkenntnis verstopft bleibt. Doch Formen haben keine Dauer. Sie entstehen und vergehen. Auch das Wegschauen kann nicht lange darüber hinwegtrösten. Es gibt nichts Beständiges in der Welt der Erscheinungen. Früher oder später setzt sich diese Welt selbst ins Schachmatt. Ihre Festungen geraten ins Wanken und etwas  tief Verborgenes beginnt da und dort, durchzuscheinen.

Das Selbstbild

Die spirituellen Traditionen sprechen von der Welt der Illusion. Alles da draußen ist nicht echt. „Gesagt zu bekommen, dass das, was du nicht siehst, vorhanden ist, klingt wie Wahnsinn. Du zweifelst nicht daran, dass die Augen des Körpers sehen können. Du zweifelst nicht daran, dass die Bilder, die sie Dir zeigen, die Wirklichkeit sind.“ (Aus „Ein Kurs in Wundern“, L91, Ü S.156/3)

Jeder von uns ist der Truman in seiner eigenen Show (Die Truman Show ist ein 1998 produzierter Spielfilm von Peter Weir). Gefangen in den Konditionierungen seiner Kindheit funktioniert der Mensch. Selbst in großem Leid und in Krankheiten verteidigt er sein in Jahren sorgfältig konstruiertes und gelegentlich upgedatetes Selbstbild.

Woran sollte er sich sonst festhalten können?

Vergeht eine Form vor unseren Augen durch Verlust oder Tod, kommt das gesamte Egogebäude ins Wanken. Ein Schlupfloch entsteht. Wer diese Leere aushält, kann die Gunst der Stunde nutzen. Die Essenz, das Formlose, das unnennbare reine Sein blitzt auf. Man muss aber nicht auf Verlust oder großen Schmerz warten, um einen Blick auf sein wahres „Gesicht“ zu erhaschen. Der Urzustand, das noch nicht manifestierte Leben, ist nach wie vor in jedem Menschen vorhanden. In der Stille der Meditation, die den Gedankenlärm weit hinter sich gelassen hat, kann man den Raum erfahren, aus dem alle Formen geboren werden.

Wer bin ich?

Wer also bin ich? Wer, wenn nicht dieses trügerische Selbstbild? Wer seine Aufmerksamkeit von der äußeren Welt abzieht, begegnet dem Spiegelbild der tausend Dinge innerlich: Gedankenformen und Emotionen sorgen für eine innere Raserei, die nach dem Loslassen der Außenwelt nun die Zugänge zur Wahrheit, zur eigenen Essenz um jeden Preis verbarrikadieren wollen. „Denke unbedingt an dies und das! Hör niemals auf zu denken, nie, niemals!“.

Dem inneren Geplapper ist jedes Thema recht. Bloß keine Stille. Wer du wirklich bist, kann aber nur dann auftauchen, wenn Du jegliche Identität mit einer Form loslässt. Wer gelernt hat, sein Bewusstsein frei von Gedanken und Gedankenfetzen zu halten, wird gesegnet mit einem Blick nach innen.

Erst wenn Du bereit bist vom Sprungbrett aller Konzepte, allen Wissens und aller Selbstbilder abzuspringen, verlässt du das Gefängnis der Illusion. Wenn du dich dem blanken Nichtwissen anvertraust und es aushalten und halten kannst, wird es möglich, die Wahrheit im eigenen Inneren „leibhaftig“ zu erfahren:

Erinnerung

„Horch! Vielleicht erhaschst du den Hauch eines Urzustandes, den du nicht ganz vergessen hast –  undeutlich vielleicht, und doch nicht gänzlich unbekannt, wie ein Lied, dessen Name du längst vergessen hast. Du könntest dich erinnern, doch du hast Angst davor, weil du glaubst, du würdest die Welt verlieren, die du seither gelernt hast.

Jenseits des Körpers, jenseits der Sonne und der Sterne, hinter allem, was du siehst, und doch irgendwie vertraut, wölbt sich ein Bogen goldenen Lichts, der sich während du schaust zu einem großen, leuchtenden Kreis ausdehnt. Und der ganze Kreis füllt sich mit Licht vor deinen Augen.
Der Rand des Kreises löst sich auf, und was darin ist, nicht mehr zurückgehalten. Hier ist die
Erinnerung an das, was du bist. Du kennst das alte Lied und kennst es gut. Was ist ein Wunder, wenn nicht diese Erinnerung? Und wen gibt es, in dem diese Erinnerung nicht liegt?“ (aus „Ein Kurs in Wundern“, Textbuch S.448)

 

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