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Regina Heckerts Artikel "Vergebung - Den Fluch der bösen Tat auflösen" erschien in SEIN.SEIN ist ein weltanschaulich, finanziell und organisatorisch unabhängiges Print- und Onlinemedium, welches sich als Werkzeug für ganzheitliches Leben und spirituelle Weiterentwicklung versteht.
In ihrem Artikel "Vergebung" lässt Regina Heckert Erfahrungen wiederaufleben, deren vereinzeltes Auftauchen sie vor vielen Jahren noch verflucht hat. Doch so hat die langjährige Tantra Lehrerin - nach vielen missglückten Versuchen - ihren Weg gefunden, mit vergangenen, aber dennoch tiefsitzenden und schmerzhaften Missetaten aufzuräumen…
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… dass es in seiner Lebensgeschichte ungute oder peinliche Erinnerungen gibt, die sich einfach nicht löschen lassen? Schmerzliche Ereignisse oder eigenes Fehlverhalten steigen als offene Rechnungen immer wieder ungebeten aus dem sorgsam gehüteten Schatz der Verdrängung empor. Und vielleicht hat man schon ausgiebig darüber gebrütet und wie wild meditiert, innerlich um Vergebung gebeten und um eine neue Sicht. Die Betroffenen oder Geschädigten wurden ins Licht gestellt und tausende Male gesegnet. Aber die unerlöste Wunde bleibt allem zum Trotz unbeeindruckt und widersetzt sich den gut meinenden Heilungsversuchen…
Ich war 26 Jahre alt und liebte es, Leute zu provozieren und zu schockieren. So hatte ich meinen Spaß und immer Lacher auf meiner Seite. Was ich damals nicht wusste: Etliche meiner „Missetaten“ würden mich Jahrzehntelang verfolgen und immer mal wieder in Form von schlechtem Gewissen plagen. Musste ich zum Beispiel ins Kaufhaus unserer kleinen Stadt, so machte ich stets einen großen Bogen um Claudia (Name geändert), die dort arbeitete. Gefühle von Unbehagen und Schuld durchzogen mich und beschäftigten noch Stunden danach meinen gequälten Geist. So ging das sicher dreißig Jahre lang.
Ich arbeite inzwischen seit einem fast ebenso langen Zeitraum mit dem spirituellen Lehrwerk „Ein Kurs in Wundern®“. Täglich lese ich darin, praktiziere die Übungen und Meditationen, bei denen es vorwiegend um Vergebung geht. Doch einige meiner Versuche, auf diese Weise mit Erfahrungen aus meiner Lebensgeschichte Frieden zu schließen, waren dennoch nicht von Erfolg gekrönt. Keine mir bekannte Meditation half. Gab es denn keine Möglichkeit, Abbitte zu leisten? War ich überhaupt bereit, einzusehen, dass ich Fehler gemacht hatte? Gab es eine Chance, sie auszubügeln? Und wie könnte das im konkreten Einzelfall aussehen? Ich stellte etliche meiner bösen Taten auf den Prüfstand dieser Fragen. Tage, ja Wochen vergingen.
Immer wieder lauschte ich in meinen eifrigen Mediationszeiten nach innen und bat um Führung und konkrete Ideen für die Auflösung meiner uralten Lasten. Auf einer Liste sammelte ich alle meine Untaten aus vergangenen Zeiten, die noch wie Schwelbrände in mir rumorten und ab und zu aufflammten. Sie belasteten oder bedrückten mich und blockierten einen Teil meiner Lebensenergie. Ich nahm mir vor, diese gefräßigen Energieräuber für immer zu sättigen und dadurch aus meinem Leben zu verbannen. Etwa zwölf Vergehen standen auf meinem Blatt Papier. Sie bildeten das Material für mein vor mir liegendes Vergebungsprojekt.
Punkt neun der Auflistung lautete: Mit der „Geschichte Claudia“ in Frieden kommen. Jahrzehnte zuvor, am Polterabend vor meiner ersten Eheschließung stand sie mit ihrem Mann vor unserer Haustüre. Ich öffnete: „Was wollt Ihr denn hier? Ihr seid doch gar nicht eingeladen!“ Mein Mann erschien und schlichtete. Es waren Freunde von ihm, und selbstverständlich waren sie eingeladen gewesen. Aber ich erfreute mich an den verdutzten Gesichtern. Damit noch nicht genug. Als ich das mitgebrachte Geschenk auspackte – einen wunderschönen getöpferten Krug – rief ich laut und vernehmlich: „O nein, schon wieder so ein hässlicher Krug!“ Manchen Gästen stand die Peinlichkeit meiner Tat direkt ins Gesicht geschrieben, andere lachten, und ich weidete mich an der Macht meines ungehörigen Verhaltens…
Kein Licht, in das ich Jahre später bei meinen ausgiebigen Meditationen das Ereignis tauchen wollte, brachte die erhoffte Freiheit von meinen seither unguten Gefühlen, wann immer diese Erinnerung wieder auftauchte. Schließlich erkannte ich, dass so mancher Fehler nicht wegmeditiert werden kann, sondern aktiv berichtigt werden muss. Handeln war angesagt. Schritt für Schritt begann ich also, mein Sündenregister abzuarbeiten.
Bezüglich Claudia und ihrem Mann musste ich zunächst die aktuelle Adresse der beiden herausfinden. Dann dauerte es ein paar Tage, bis ich mir ein Herz gefasst hatte, dort tatsächlich anzurufen. Beide waren erstaunt, dass ich sie besuchen wollte, aber sie sagten zu. Mit einem wirklich riesengroßen Blumenstrauß betrat ich das Wohnzimmer, in dem zu meinem Schreck die ganze Familie versammelt war: Drei erwachsene Kinder samt Partnern genossen gerade das gemeinsame Abendessen bei ihren Eltern. Ich atmete tief durch und beschloss, mein Vorhaben dennoch wie geplant umzusetzen. Zuerst fragte ich Claudia, ob sie sich überhaupt noch an den besagten Polterabend erinnere. Ich dachte, die beiden hätten meine Beleidigungen sicher schon längst vergessen. Doch weit gefehlt. „Nein, das haben wir nicht vergessen“, betonten beide mit gerunzelter Stirn. „Daran können wir uns noch ganz genau erinnern!“ So blieb mir nichts anderes übrig, als das geöffnete Tor der Peinlichkeit genau so mutig zu durchschreiten wie damals das Tor der Gemeinheit. Vor der ganzen Familie erzählte ich, was geschehen war. Dann überreichte ich den Blumenstrauß: „Bis heute muss ich selbst auch immer wieder daran denken! Und wenn ich im Kaufhaus einkaufe und dich sehe, liebe Claudia, mache ich stets einen Bogen um dich herum. Ich bin heute gekommen, um mich für das, was ich euch angetan habe, aus tiefstem Herzen zu entschuldigen. Es tut mir leid. Dieser Blumenstrauß soll euch das zeigen!“ Tränen standen mir in den Augen.
Die Blicke der jungen Menschen am Essenstisch drückten noch einmal eindrücklich die Fassungslosigkeit aus, an der ich mich dreißig Jahre zuvor ergötzt hatte. Claudia nahm den Blumenstrauß an. „Komm, setze Dich und trinke ein Gläschen Sekt mit uns! Hast Du Hunger? Möchtest Du mit uns essen?“ fragte sie. Wir prosteten und hatten einen schönen kleinen Austausch, bevor ich mich verabschiedete. Draußen in der Dunkelheit saß ich noch lange in meinem Auto. Tief erfasst von dem Geschehen musste ich durchatmen und nachspüren. Da stiegen auf einmal Ströme von Tränen hoch und brachen sich Bahn. Plötzlich sah ich, wie ich die bösartige, junge Frau von damals innerlich umarmte. Ich erkannte, dass sie Jahre lang um sich geschlagen hatte, um sich an allem und jedem, ja an der ganzen Welt zu rächen. Zu rächen für das, was das Leben ihr angetan hatte: Jahrelanger sexueller Missbrauch, der das Vertrauen in Gott und in die Welt erschüttert und für eine lange Zeit sogar zerstört hatte. Plötzlich übermannte mich tiefstes Mitgefühl, ja sogar Liebe, für mein vergangenes Ich. Zuhause paarten sich noch stundenlang tiefe Rührung und Erleichterung in meinem aufgescheuchten Gemüt.
… wenn etwas Belastendes, was vorher da war, einfach nicht mehr da ist. Es ist ausradiert, gelöscht, befriedet, aufgelöst – und alle Beteiligten können aufatmen und sich vermehrter Lebensenergie erfreuen.
Einige Zeit später entdeckte ich Claudia beim Einkaufen an der Kasse. Ich ging direkt auf sie zu. Verflogen war der alte Wunsch, mich vor ihr zu verstecken. Sie tippte meine wenigen Artikel ein. Mit einem liebevollen Lächeln schaute sie mich an: „Die nehme ich auf meine Rabattkarte als Mitarbeiterin!“ So musste ich deutlich weniger zahlen. Nach etwas Smalltalk verließ ich glücklich das Kaufhaus. Jetzt wusste ich unwiderruflich: Die Sache war ausgestanden – ein und für allemal! Seither mache ich keinen Bogen mehr um sie. Das schlechte Gewissen ist für immer ausgelöscht und Frieden breitet sich aus, wenn ich an diese uralte Geschichte mit ihrem schönen Happy End denke.
Auch die anderen Punkte meiner Liste sind inzwischen abgearbeitet und haben einem befriedeten inneren Lächeln Platz gemacht. So konnte ich – ganz nach „Ein Kurs in Wundern®“ - meine unglücklichen Träume in glückliche verwandeln. Meine Lebensgeschichte ist dadurch vielleicht etwas weiser und runder geworden. Alles in der Vergangenheit kann neu gesehen werden. Manchmal sind Taten nötig, um ungute Erlebnisse von der Festplatte der Erinnerungen zu löschen oder sie in heilsame Erinnerungen zu verwandeln. Der eigentliche und größte Akt der Vergebung, nämlich die Identifikation mit der Lebensgeschichte insgesamt als Traum zu erkennen und loszulassen, liegt noch vor mir. Bis dahin begnüge ich mich damit, das Rad des Lebens freudvoll und möglichst nur in der Gegenwart zu drehen. Ich praktiziere weiterhin Vergebung und lehre sie auch. Denn die meisten von uns sind doch schon heilfroh, wenn der Alltag möglichst beschwerdefrei und glücklich verläuft. Den letzten Schritt der Loslösung von allem Irdischen überlasse ich vorerst den Erleuchteten und den spirituellen Feinschmeckern unter uns.
Buch von Regina Heckert
im Handel seit2023