Satsang-Retreat
Ich kehrte zurück in meine zerrüttete Ehe, meditierte regelmäßig und erfüllte so recht und schlecht die ehelichen Pflichten. Tantraseminare und Klosteraufenthalte wechselten sich ab. Allem konnte ich etwas abgewinnen. Überall fehlte etwas. Da versuchte ich es mit moderneren Formen der Gottsuche und fand mich in Schweige-Retreats ein. Jeder wandelte dort in sich gekehrt vor sich hin, als gäbe es die anderen gar nicht. Kontakt war untersagt: kein Reden, keine Begegnung und erst recht keine körperliche Berührung! Es schien außer mir nur noch einen wichtigen Anwesenden zu geben: den Guru, dem man nacheifern und möglichst die Erleuchtung abringen sollte. Alle anderen Satsangbesucher erzeugten lediglich das Energiefeld , an dem sich mein Mut erproben musste, mit dem Meister direkten Kontakt aufzunehmen – natürlich rein innerer Art.
Die Welten blieben weiterhin getrennt, auch wenn ich immer mal wieder die Meditation mit ins Bett nahm oder bei der Meditation in lustvolle Tiefen versank. Manchmal frage ich mich, ob es auf der Erde wenigstens einen einzigen Menschen gibt, der der Sexualität, als Urkraft der Leiblichkeit vorbehaltlos Ehre erweisen kann. Muss denn der Beigeschmack des Bösen, in Jahrtausenden geschürt und bis ins Detail ausgefeilt, an der Sexualität kleben wie ein nicht mehr gut zu machender schlechter Ruf? Wenn sogar Tantraschulen eine Verlinkung ablehnen, weil auf der Startseite meiner Website Lustmolch und Tantramaus gerade ein Loblied auf die reine Geilheit singen?
Das Animalische
Wo kommen wir denn hin, wenn wir das rein Animalische, den puren Trieb weiterhin „verteufeln“? Können wir die Lust kultivieren, wenn wir uns von ihrer Wurzel abschneiden? „Wo nichts ist, kann man nichts verfeinern!“ Ohne Stroh kann die Müllerstochter im Märchen kein Gold spinnen. Streiten sich jetzt schon die Tantriker, ob es besseres und schlechteres Stroh gibt? Verschieben wir die tief innen sitzende Spaltung nicht nur und verwandeln sie in Haarspalterei, weil wir uns der Wahrheit nicht wirklich stellen wollen?
“ Im sexuellenTrieb ist die mächtigste Kraft, die wir kennen, wirksam. Deshalb ist die Kraft, die dahinter wirkt, die eigentliche Lebenskraft, die Kraft, die Gott am ähnlichsten ist. In ihr offenbart sich das Größte der Welt, das Göttliche, am greifbarsten. Und gerade dadurch, dass wir dieser Kraft ausgeliefert sind durch den Trieb, offenbart sie sich wie von außerhalb von uns kommend und uns übersteigend.“ (Bert Hellinger, aus der DVD „Ich liebe dich“) Mir tun diese Worte eines weisen alten Mannes, der sogar einmal Missionar war, richtig gut. Sie lassen mich tief auf- und durchatmen.
Urgewalt der Sexualität
Schließlich hat doch fast jeder die Urgewalt der Sexualität schon mehr oder weniger am eigenen Leib (wo sonst?) erfahren! Sie bringt das Leben trotz aller menschlicher Vorsichtsmaßnahmen voran, überlistet Verhütungskalender und Antibabypillen. Sie macht krank und garstig und leblos, wenn wir sie unterdrücken. Sie wird dort zu Gewalt, wo dieser innere Druck nicht mehr ausgehalten werden kann. Die Sexualität als Ganzes oder teilweise abzutun ist eine Verrücktheit, die zum Scheitern führen muss. Sublimieren kann eben nicht jeder nach Belieben. Klosterfriedhöfe und jüngste Ereignisse zeigen nur als Spitze eines Eisberges dessen, was geschieht, wenn man sich gegen das Leben selbst stellt. Vielleicht gelingt es einigen Sonderexemplaren der Menschheit, ganz ohne Sexualität in voller und erfüllter Lebendigkeit das Leben zu genießen, wobei im Einzelfall zu prüfen wäre, ob es deren Wurzelchakra nicht vielleicht von Anfang am rechten Schwung gefehlt hat.
Die sexuelle Kraft ist wunderbar. Wer sie unterdrücken will, richtet Schaden an. Wer sie befreit, wird lebendig und heil. Tantra ist der Weg der Befreiung und Bejahung der Lust und des Lebens. Alle Aspekte sind willkommen. Tantra zieht nicht den Schwanz ein auf dem Weg zu Gott. Ganz im Gegenteil: Er wird gezeigt, verwöhnt und verehrt. Ist die sexuelle Lust auch das beste Mittel, irdische Verstrickungen zu manifestieren, indem sie zu Kindern, Beziehungen, Familien und Schicksalen gerinnt, hat sie zugleich auch das Potential, alle Anhaftungen zu lösen, indem sie mitten hineinsteigt in den turbulenten Lebensfluss. Was ausgeschlossen, abgelehnt, unterdrückt wird, bindet auf besonders starke Weise und hält unfrei. Das sehen wir im Märchen an der Wirkung der Fee Nummer dreizehn. Orgasmusunfähigkeit erhöht sicherlich nicht die Erleuchtungswahrscheinlichkeit. Wer sich enthält, kommt nicht automatisch ungeschoren davon. Alles Ungelebte fesselt und bindet.
Kloster und Lust feiern Vereinigung
Pfingsten 2010: Tatsächlich habe ich es gewagt. Noch weiß ich nicht, ob es die Krönung meines Lebens ist. Meine Klosterzeiten und meine Lusterfahrungen feiern Vereinigung: Das erste Tantra-Retreat –das Abenteuer Tantrakloster, findet auf Gut Frohberg statt. Die Vorzüge des Klosterlebens und der Schweigeretreats auf der Reise nach innen öffnen ihre Pforten. Sie lassen die sexuelle Lust nach Ewigkeiten der Verbannung hereinschlüpfen. Weib und Nonne in mir und meinen Teilnehmerin sitzen zufrieden ineinander im Schneidersitz. Sie lauschen der Stille, schweigen und singen. Männer in langsamen Zen-Schritten umkreisen die Frauen. Heilige Lieder mischen sich mit durchtriebenen Blicken zu genau der Schwingung, die mir heilig ist. Mantren erwecken Seligkeit und Verlangen. Begegnung, Berührung, zarte Augenblicke sind nicht nur erwünscht, sondern dringend empfohlen.
Für die Nachmittagspause ist das Mattenlager gerichtet für alle, die sich schweigend und bewusst entdecken möchten. Das Essen ist rationiert. Es wird langsam, genussvoll und schweigend miteinander im Kreis eingenommen. Der tobende Verstand kann sich nur im eigenen Geist breit machen. Körper ohne trennende Worte wissen, wo es lang geht. Stille und Lust werden von Tag zu Tag tiefer. Nicht nur mein Herz jubelt vor Vergnügen. Ich staune, wie alles ohne Anstrengung und reibungslos bei einer so großen Gruppe klappt. Echte Fröhlichkeit breitet sich aus. Tag für Tag wachsen Bewusstheit und Liebe, auch die ganz körperliche, gleichzeitig in Himmel und Erde hinein.
Der tantrische Swinger-Club
Habe ich meinen Stein des Weisen gefunden? Der Abschluss der Tage im Tantra-Kloster ist ein erneutes Wagnis: Der tantrische Swinger-Club krönt das Abenteuer. Verschiedene Plätze verlocken zu unzähligen Möglichkeiten der Erfahrung von Lust und Liebe. Es gibt Meditationsplätze ebenso wie Plätze für Voyeure, Verweigerer, Lustlose, Unzufriedene und Hoffnungslose. Alles darf sein und vor allem: gefühlt werden. Massagematten laden ein. Der Platz für frauenfreundliche Berührungen ist gut besucht. Die Dunkelkammer darf man nur mit Augenbinde betreten. Auf dem Lager davor kann man mit mitgebrachtem Partner üben, einander Orgasmen vorzutäuschen. Zu meinem Erstaunen und allseitigen Vergnügen wird er rege genutzt. Wer Demut üben will, liegt flach am Boden. Auf den drei Warteplätze mit der Aufschrift „Ich traue mich nicht, bitte hole mich ab!“ erfährt man, dass man sich helfen lassen darf. Sogar der heiße Stuhl, bei dem man sich auf Zetteln Antworten zu heiklen Fragen zur eigenen Person abholen kann, ist begehrt. In einem Separee verschwinden Paare, die sich lieben wollen. In unregelmäßigen Abständen erklingt die Zimbel. Egal, was man gerade tut, man hält nun inne. Und lauscht nach innen: Bin ich wirklich gerade da, wo ich bin? Wenn ja, wie kann ich mich noch mehr hineinbegeben? Wenn nein, was geschieht gerade wirklich in mir? Wer es nicht weiß, begibt sich auf einen der Meditationsplätze, bis er es weiß. Der Patz für Verzweifelte oder Überforderte ist selten besetzt. Nur wer dort eine halbe Stunde ausharrt und seine Verzweiflung spürt, hat das Recht das Schweigen zu brechen und die Klostervorsteherin um hoffentlich weisen Rat zu ersuchen. Nur eine Person nützt diese Möglichkeit. Alle anderen sind nach all den vorbereitenden Tagen einfach im Fluss des Lebens. Niemand „versackt“ darin. Es ist so erstaunlich, wie konsequent die Zimbel beachtet wird und gute Folgen hat.
Lust ist mein Weg zu Gott
Ich bin es gewohnt, allerbestes Feedback zu meinen Gruppen zu bekommen. Diesmal überschlagen sich die Lobeshymnen der Glückseligkeit. Auch ich selbst – meine strengste Kritikerin, lächle mir anerkennend zu und dem Teil in mir, der mich ein Leben lang dorthin geführt hat, wo ich jetzt bin. Manchmal weiß ich nicht, ob die Idee eines Tantra-Klosters nicht ein bisschen größenwahnsinnig ist. Wie kann ich es mit Jahrtausenden der Spaltung aufnehmen? Das Tantra-Kloster löst das Dilemma meines Lebens und lässt alle, die es möchten, daran teilhaben. Lust ist mein Weg zu Gott. Mein Herz schlägt höher, wenn ich weitere Tantra-Retreat-Ideen sammle Jedenfalls geht die Reise der Heilung weiter. Ich kann sie sowieso nicht aufhalten.
(Anmerkung: In der pdf Datei Tantrakloster ► finden Sie Seite 25 Texte aus dem Gebetsbuch, die Regina Heckert zutiefst angerührt haben, aber eben lustvoll und erotisch. Deshalb hat sie dabei an Sexuelles gedacht und es auch durchfühlt, mitten im katholischen Gottesdienst. Der dort zu findende Text ist aus dem Kinder-Gesangbuch „Salve Regina“ – Gebet- und Gesangbuch für das Bistum Speyer, 9. Auflage entnommen: Lied Nr. 299, S. 942, „Mein Herz erglüht“)
(Artikel veröffentlicht in Connection Spezial 87)
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