Zum Hauptinhalt springenZum Seiten-Footer springen
Hero Image

Grenzen setzen - Grenzen überwinden
Ein Artikel von Regina Heckert

Grenzen setzen und überwinden
BeFree Tantra Grenzen setzen, Grenzen überwinden Artikel

 

Dieser Artikel erschien im Tantranetz. Das Tantranetz unterstützt die Information, den Austausch und die Vernetzung aller Interessierten rund um die Themen Liebe, Erotik, Sexualität, Partnerschaft, undogmatische Spiritualität und Tantra. In dem Artikel "Grenzen setzen - und grenzen überwinden" stellt Regina Heckert bildhaft dar, inwiefern wir häufig an alten, unnötigen Grenzen und Handlungsmustern festhalten. Haben wir das Bewusstsein geschaffen, können wir konstruktiv verändern:

Artikel als pdf-Datei downloaden »

Warum halten wir an unnötigen Grenzen fest?

Viele unserer Grenzen und Unfreiheiten, an die wir im Leben und besonders beim Lieben stoßen, sind unnötig und sehr alt. Trotzdem scheinen sie wie ein morsches altes Gebäude dessen Bewohner zu schützen und in vermeintlicher Sicherheit zu halten sind. Jenseits dieser Grenzen pulsiert und ruft das Leben. Während viele Menschen lernen, sich das Gefängnis immer schöner einzurichten (und das manchmal mit Veränderung verwechseln), bleibt der weite Raum der Lebendigkeit um das Gefängnis herum unbewohnt und leer…

Der gefangene Elefant…

Ein junger Elefant trägt um den Hals eine Leine und ist an einem Baum angebunden. Die Leine gibt ihm nur einen Bewegungsspielraum von Zwei-Mal-Zwei-Metern. So wächst er heran. Aus der Ferne hört er die Rufe seiner Freunde in der Freiheit des angrenzenden Urwalds. Am Anfang möchte er ihnen noch folgen, aber seine Versuche scheitern. Die Leine hält ihn fest und zwingt ihn allmählich, seine Impulse zu unterdrücken. So gewöhnt er sich an seine begrenzte Umgebung und an das Gefühl unerfüllter Sehnsucht. Er lernt, sein Leben innerhalb des ihm gesteckten Zwei-Mal-Zwei- Meter Rahmens zu fristen.

Als er schließlich erwachsen ist, gelingt es ihm, sich durch eine gewaltige Kraftanstrengung von der Leine zu befreien. Er atmet tief durch und hat einen Moment lang ein erhebendes Gefühl von Glück und Freiheit. Urplötzlich trompetet er kraftvoll und schwenkt begeistert seinen Rüssel. Jetzt hindert ihn nichts mehr daran, in die grenzenlos erscheinende Weite des Urwalds einzutauchen. Ein Forscher beobachtet jedoch erstaunt, wie er sich weiterhin nur im Zwei-Mal-Zwei-Quadrat bewegt. Die Gefängnistür steht offen. Doch die Macht der Gewohnheit und die Angst vor dem Unbekannten halten ihn an der unsichtbar gewordenen Leine seines Lebens weiterhin gefangen.

Was uns der Elefant lehrt:

Diese Geschichte ist eine schöne Metapher: Obwohl Erwachsene die konditionierten Grenzen ihrer Kindheit nicht mehr brauchen, bleiben sie oftmals trotzdem im sicheren Bereich des Vertrauten. Sie folgen den immer gleichen Denk- und Verhaltensweisen. Unzufriedenheit und Krankheiten leisten ihnen innerhalb dieser Komfortzone gerne Gesellschaft. Doch die Sehnsucht nach einem freien und selbstbestimmten Leben kann verdrängt, aber nicht ausgelöscht werden.

Schritt für Schritt in Richtung Freiheit

Als mein Sohn noch klein war, bekam er zwei kleine Katzen. Während der Wintermonate wuchsen sie im Haus heran und erkundeten alle Ecken und Kanten. Dann kam der Frühling heran und wir öffneten zum ersten Mal die Balkontür. Beide pirschten sich geduckt an die frische Prise heran, die von dort draußen hereinwehte. Sie zuckten bei jedem lauten Geräusch erschrocken zurück. In diesem Hin und Her zwischen dem Bekannten und der verlockenden, neuen Welt eroberten sie sich allmählich ihre neue Freiheit.

 

Vorsichtig ertasteten sie mit ihren kleinen Pfoten das Gras. Bei jedem fremden Eindruck, ja sogar beim kleinsten Windhauch, huschten sie sofort zurück ins sichere Haus. Mit jedem Mal trauten sie sich ein Stück weiter ins Unbekannte, bis schließlich der gesamte Garten und die Gärten der Nachbarn zu ihrer neuen Heimat wurden. Welch ́ wunderbare neue Welt hatten sie sich erobert, die sich mit jedem Tag und mit jeder Jahreszeit veränderte und sie mit Erfahrungen überreich beschenkte.

Das Wechselspiel aus Gewohntem und Neuem 

Drei Schritte vor, zwei Schritte zurück: So verläuft auch eine Geburt. Im Wechsel zwischen Gewohntem und Neuem kann sich der verfügbare Lebensbereich Schritt für Schritt erweitern. Dabei entstehen oftmals Angst, Schuldgefühle und Unsicherheit. Diese haben uns früher in die Komfortzone zurückgezwungen, als wir noch mit Strafe rechnen mussten, wenn wir ausbrechen wollten. Heute können sie zum Indiz dafür werden, dass wir gerade einen befreienden Schritt machen.

Wie wir uns gegenseitig helfen können

In Tantraseminaren zeigen wir einander, wo Gefängnistüren offen stehen und reichen uns die Hand, um neue Schritte hin zu mehr Freiheit miteinander zu wagen. Dabei lernen wir paradoxerweise zweierlei: Wir entlarven die unnötigen Prägungen, Konditionierungen, Vorschriften und inneren Moral-Apostel und öffnen uns für die Welt jenseits davon.

 

Gleichzeitig ist es nötig, gute neue Grenzen setzen zu lernen. Bei sexuellem Missbrauch zum Beispiel verlieren die Betroffenen meist das Gefühl für das, was ihnen gut tut. Wertschätzung und Respekt für die eigene Person haben sie nicht erfahren. Deshalb ist für sie die „Grenzüberschreitung“ zum schädlichen Gefängnis geworden. Immer wieder ziehen sie Erfahrungen von Übergriffigkeit in ihr Leben.

Mein Job als Leiterin von Tantraseminaren ist daher, Menschen zu begleiten, sich selbst treu zu sein (und nichts zu tun, was sie nicht möchten). Gleichzeitig locke ich sie aus verkrusteten und überflüssig gewordenen Lebensmustern und Gefängnissen heraus. Manchmal ist das wie ein Seiltanz. Denn wie kann ich wissen, was ich brauche und was mir guttut, wenn ich innerhalb meiner Gewohnheiten und Grenzen immer nur das Gleiche tue und die Welt drum herum noch gar nicht kenne?

Besonders der Bereich der Sexualität bietet sich an, ist er doch überfrachtet von falschen Vorstellungen und lebensfeindlicher Moral:

Marliese, eine sehr hübsche Seminarteilnehmerin, kommt in der Mittagspause zu einem Einzelgespräch. „Sie sei umringt von Männern, und sie könne noch nicht einmal eine Umarmung zulassen, weil sie nicht wisse, wie sie die Männer dann wieder loskriegt, wenn sie eben nur eine Umarmung will und nicht mehr“, klagt sie. Schon zwei Tage des Seminars sind deshalb in absoluter Berührungsverweigerung für sie vergangen. Dabei sehnt sie sich so sehr nach Berührung. „Aber wenn ich A sage, muss ich auch B sagen“, Tränen rollen über ihr schönes Gesicht. Genau dieser Satz ist ihr Gefängnis.

Sie hat Lust, ein Experiment zu wagen. „Enttäusche so viele Männer wie möglich, bei diesem Seminar“, empfehle ich ihr und erkläre ihr, wie das aussehen könnte. Und sie setzt es sofort und das ganze Seminar über um. Von Tag zu Tag strahlt sie mehr und fährt glücklich und befreit nach Hause.

Sie hat sich gewagt, Umarmungen nur dort zuzulassen, wo sie es mochte und so lange sie es mochte. Dann hat sie sich sanft gelöst und gesagt: „Es war eine himmlische Begegnung. Ich danke Dir dafür. Mehr stimmt für mich im Moment nicht.“ Das Muster „Wer A sagt, muss auch B sagen“ ist dadurch in sich zusammengesackt, auch wenn sicher da und dort ein Mann enttäuscht war. Ihr Selbstvertrauen ist gewachsen. Sie kann bestimmen und muss nicht mehr das gehorsame Mädchen oder Weibchen spielen. Und aus dieser neuen Lage heraus ist sie frei für weitere Schritte bei Begegnungen mit einem Mann, ganz in ihrem Tempo – immer weiter heraus aus ihrem lebensfeindlich begrenzten Gefängnis.

Artikel von Regina Heckert, veröffentlicht auf tantranetz.de, Erscheinungsjahr: 2018

Icon Links

Das könnte Sie auch interessieren: