Jetzt hast du die Freiheit und kannst sie nicht nutzen
Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden die alten Jungfern und übrig gebliebenen Männer eher als überflüssige Randfiguren einer nach dem Prinzip »Paarung« aufgebauten Gesellschaft belächelt. Viele fanden sich, da auf dem Heiratsmarkt nicht vermittelbar, unter dem Deckmantel ehrfürchtiger Gottessuche im Kloster ein. Heute findet man den Homo singulus an jeder Straßenecke. Bei genauerem Hinsehen sticht ins Auge, dass dieser es zumindest zeitweise gekonnt versteht, sein Leben lüstern und vielfältig zu zelebrieren. So mag man staunen, wie sich aus dem Mauerblümchen grauer Vorzeiten eine Singlefrau herausgeschält hat, die mit ihrem bloßen Erscheinungsbild immer wieder für heftige Turbulenzen sorgen kann. Von gelangweilten Ehemännern begehrt– und deren Ehefrauen gefürchtet – stellt sie eine ernstzunehmende Gefahr für die Seitensprunganfälligkeit ausgehungerter einstiger Treueschwörer dar. »Jetzt hast du die Freiheit und kannst sie nicht nutzen!« Diese Worte meines Therapeuten trafen den Nagel auf den Kopf. Bereits seit einem Jahr lebte ich nach missglückter erster Ehe mit meinem kleinen Sohn allein. Wie sehr hatte ich mir in den Mühen der letzten Zeit meiner Ehe genau das Leben ersehnt, das jetzt seit Monaten so gnaden- und spurlos an mir vorbeiging! Zwar hatte ich die Zeit zu ernsthaftem seelischen Abschiednehmen genutzt, allein der damals erhoffte Zeitvertreib zwischendurch wollte sich von selbst nicht einstellen. Gerade mal 28 Jahre jung, erschöpfte ich mich in Arbeit, Mutterpflichten und Haushalt, während tief innen das Leben vertrocknete.Ich begann regelmäßig zu meditieren, was mir meine hoffnungslose Situation noch deutlicher vor Augen führte. Wenn ich nach der Versenkung nach innen mit blinzelnden Augen bereit war, mich wieder der sichtbaren Welt zu öffnen, fiel gewöhnlich mein Blick auf den dunklen Holzbalken, auf dem die Photos meiner katholischen Großmutter und meines in Szene gesetzten nackten Pos unversöhnlich nah beieinander hingen. So manches Mal traf mich tief das triumphierende, fast selige Lächeln meiner gottesfürchtigen Ahnin und strafte alle Vorhaben auf baldige sexuelle Befreiung Lügen.
Was hindert Single-Frauen daran, ihre Lust zu leben?
Nicht selten waren meine Tränen das wenige, das mir blieb, wenn ich nach Hause kam, während vor meinen sehnenden Augen One-Night-Stands für andere Leute geboren wurden. Wie schwer behindert kam ich mir vor; ich, die eigentlich so lustvolle Frau, die nie genug bekommen konnte. Was hindert eine Singlefrau daran, ihre Lust in Freiheit zu leben? Warum gelingt es ihr nicht so einfach wie in der definierten Beziehung? Das interessierte mich natürlich. Und ich überprüfte die wenigen Frauen, die sich trauten, nach Lust und Laune ihren sexuellen Appetit zu stillen. Meine Freundin H. zum Beispiel. Skrupellos zog sie Abend für Abend Männer an Land und gab sich nie enden wollendem Vergnügen hin. Frauen wie sie waren dafür bereit, als Hure, Nutte, Flittchen, leichte Frau abgestempelt zu werden. Sollte das der Preis sein für die Freiheit, die ich mir erkämpfen wollte?
Die Sehnsucht nach Lust und Liebe
Hure kommt aus dem Griechischen. »Hurein« bedeutet ursprünglich eine von Männern unabhängige, selbständige Frau. So sagt es jedenfalls das Herkunftswörterbuch. »Keusch« entstammt dem lateinischen Wort »conscius – wissend, eingeweiht«. O heilige Jungfrau Maria, was ist aus dir geworden? Doch was nützen mir die Wörterbücher? Die gnadenlose Abwertung der lustvoll und allein lebenden Frau sitzt immer noch in jeder noch so kleinen Pore eines grinsenden Zeitgeistes. Anscheinend gab es keinen anderen Weg zur Befreiung als mich der Gefahr der Verbannung an den Rand der Gesellschaft zu stellen. Die fast nächtlichen Lustschreie meiner fest liierten Mitbewohnerin, die auch vor der heimlich entsetzten Nachbarschaft nicht zurückschreckte, hielten mir die nackte Einsamkeit in meinem viel zu großen Bett immer wieder vor Augen. Die Wärmflasche und die eigenen Hände waren doch nur ein schmerzlicher Ersatz – ich sehnte mich nach Lust und Liebe!
Der geile Arsch neben der betenden Großmutter
Ostern kam und einige schöne Tage in Österreich. Zu meiner eigenen Verwunderung beschenkte ich mich selbst mit einem ungewöhnlichen Souvenir. Zuhause packte ich einen Rosenkranz aus, der so groß war, dass ich mich zum Meditieren hineinsetzen konnte. Da ich zu dieser Zeit immer noch bekennende Atheistin war und sogar ganz besonders intensiv mit meiner erzkatholischen Erziehung haderte, war das, was ich tat, für mich selbst ein großes Rätsel. Diesem stellte ich mich jedoch Tag für Tag aufs Neue und verbrachte ewig erscheinende Zeiten in Meditation, umrahmt von dicken braunen Gebetsperlen. Immer wieder lauschte ich nach innen, um dem Szenario einen Sinn abzugewinnen. Immer wieder schielte ich auf den geilen Arsch neben der betenden Großmutter, wenn ich nach der Innenschau nach außen blickte. Meiner Meinung nach ist Erleuchtung nicht unbedingt nur das eine große Ereignis. Mein Leben, dem das selbige bis jetzt nicht vergönnt ist, strotzt jedoch vor vielen kleinen, ganz plötzlichen Offenbarungen, die immer wieder auftauchen, um mich ein Stück des Weges weiterzuführen.
An jeder Perle will ich mich berauschen
So überkam mich damals mitten im Rosenkranz sitzend jene unumstößliche Gewissheit in einem einzigen Augenblick von Weitblick: Dieser Kranz aus Rosen würde von mir höchstpersönlich erlöst werden von seiner himmelsheiligen, fahlgelben Vergangenheit aus Sünde, Schuld und Unterdrückung weiblicher Lust! Saßen nicht in den grauen Zeiten meiner Kindheit nur Frauen Litaneien murmelnd in der Kirche – Abend für Abend? Ich jedenfalls erinnere mich an keinen einzigen Mann beim täglichen Rosenkranzgebet. Wie viel glücklicher könnte die Menschheit sein, wäre diese Zeit für Liebe und Lust genutzt worden…»Ja, diesen Rosenkranz, den will ich so beten, dass das Leben in mir glüht! Jede Perle will ich schmecken, riechen, fühlen, kosten und mich daran berauschen! Wie oft, oh Kranz des Lebens, wurden deine Perlen einfach nur gezählt, gezählt, gezählt, heruntergeleiert und abgehakt? Wie viele Leben sind in dir versiegt?« Alles in mir rebelliert! Diesen Rosenkranz ernenne ich zum Rosenkranz meiner Befreiung, der Befreiung meiner ach so angestauten Lebenslust! »Jede Perle«, flüstert er mir zu, »soll eine Liebesnacht mit einem Mann sein«. Erschreckt zähle ich nach! Sechzig Perlen sind es etwa; da beginnt sogar das Bild meiner Großmutter zu wackeln. Oder ist es nur ein Windhauch, der ermunternd durch das Zimmer weht?
Fünf Liebhaber für jede Frau
Ein paar Tage später lese ich in einem Tantrabuch, dass jede gesunde Frau fünf Liebhaber verkraftet. Nach eingehender Prüfung dieser Aussage stelle ich nüchtern fest, wie prächtig es um meine Gesundheit bestellt ist und blinzle meiner Zukunft entgegen. Um mit dem Vorhaben wenigstens irgendwie zu beginnen, male ich den Rosenkranz in mein Tagebuch ab und verspreche mir, so bald wie möglich mit der neuen Aufgabe zu beginnen. Ich gehe im Kopf die Liste möglicher Liebhaber durch, die erstaunlicherweise sofort parat ist. Mein Kopf will jedoch durch seine klar gefällten Urteile die Auswahl eingrenzen. Immer wieder muss ich ihm treu versichern, dass es nicht darum gehen soll, den Mann fürs Leben zu finden und seine aufgezählten Mängel insofern nicht allzu stark ins Gewicht fallen. Eines Abends ist es dann so weit. B., der charmante Franzose, der schon seit längerer Zeit seine Bereitschaft in doppeldeutigen Bemerkungen kundgetan hatte, begleitet mich nach Hause. Vorsorglich impfe ich ihm ein, dass ich nicht auf Partnersuche bin und hinterher keine Kräfte zehrende Abgrenzungsarbeit leisten möchte. Er lächelt mich lüstern an. »Okay, cherie – kein Problemm…» Unsere Liebesnacht strotzt vor zweisprachigen Zärtlichkeiten und Liebkosungen. Ein Staudamm scheint einzubrechen. Der Anfang ist gemacht. Ich markiere eine Perle im Tagebuch und nicke zufrieden in Richtung Holzbalken.
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