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Regina Heckert ist erz-katholisch in einem kleinen Dorf aufgewachsen. Schon früh war sie in den kirchlichen Ablauf eingebunden und ging öfter mit ihrer Großmutter zum Rosenkranzgebet. Dort saßen stets nur wenige alte bis uralte Frauen und murmelten monoton die Gebete vor sich hin, was für ein kleines Kind sehr langweilig war. Als junge Frau kaufte sich Regina Heckert einen riesengroßen Rosenkranz und setzte sich zum Meditieren hinein. Solange, bis er ihr eine fassungslose Aufgabe übermittelte. Der Artikel wurde in einem Tantra Special der Zeitschrift Connection veröffentlicht.
pdf-Datei Rosenkranz zum Download » (veröffentlicht im Connection Tantra Special Nr. 78 "Freiheit" (I/06)
Laut Lexikon ist ein Single jemand, der allein und ohne Bindung an einen Partner lebt. Bereits in der Schöpfungsgeschichte wurde jedoch klar und unmissverständlich verkündet: »Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei!« und keine Mühe gescheut, aus den Rippen des Mannes eine zu ihm passende Frau zu formen. In der heutigen Zeit sieht es allerdings – die steigenden Scheidungsraten belegen es – nicht mehr so aus, als würde sich zu jedem Topf ein lebenslänglich passender Deckel finden lassen. Ob Gott verzweifelt angesichts so vieler herumstreunender Adams und Evas?
Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden die alten Jungfern und übrig gebliebenen Männer eher als überflüssige Randfiguren einer nach dem Prinzip »Paarung« aufgebauten Gesellschaft belächelt. Viele fanden sich, da auf dem Heiratsmarkt nicht vermittelbar, unter dem Deckmantel ehrfürchtiger Gottessuche im Kloster ein. Heute findet man den Homo singulus an jeder Straßenecke. Bei genauerem Hinsehen sticht ins Auge, dass dieser es zumindest zeitweise gekonnt versteht, sein Leben lüstern und vielfältig zu zelebrieren. So mag man staunen, wie sich aus dem Mauerblümchen grauer Vorzeiten eine Singlefrau herausgeschält hat, die mit ihrem bloßen Erscheinungsbild immer wieder für heftige Turbulenzen sorgen kann. Von gelangweilten Ehemännern begehrt– und deren Ehefrauen gefürchtet – stellt sie eine ernstzunehmende Gefahr für die Seitensprunganfälligkeit ausgehungerter einstiger Treueschwörer dar. »Jetzt hast du die Freiheit und kannst sie nicht nutzen!« Diese Worte meines Therapeuten trafen den Nagel auf den Kopf. Bereits seit einem Jahr lebte ich nach missglückter erster Ehe mit meinem kleinen Sohn allein. Wie sehr hatte ich mir in den Mühen der letzten Zeit meiner Ehe genau das Leben ersehnt, das jetzt seit Monaten so gnaden- und spurlos an mir vorbeiging! Zwar hatte ich die Zeit zu ernsthaftem seelischen Abschiednehmen genutzt, allein der damals erhoffte Zeitvertreib zwischendurch wollte sich von selbst nicht einstellen. Gerade mal 28 Jahre jung, erschöpfte ich mich in Arbeit, Mutterpflichten und Haushalt, während tief innen das Leben vertrocknete.Ich begann regelmäßig zu meditieren, was mir meine hoffnungslose Situation noch deutlicher vor Augen führte. Wenn ich nach der Versenkung nach innen mit blinzelnden Augen bereit war, mich wieder der sichtbaren Welt zu öffnen, fiel gewöhnlich mein Blick auf den dunklen Holzbalken, auf dem die Photos meiner katholischen Großmutter und meines in Szene gesetzten nackten Pos unversöhnlich nah beieinander hingen. So manches Mal traf mich tief das triumphierende, fast selige Lächeln meiner gottesfürchtigen Ahnin und strafte alle Vorhaben auf baldige sexuelle Befreiung Lügen.
Nicht selten waren meine Tränen das wenige, das mir blieb, wenn ich nach Hause kam, während vor meinen sehnenden Augen One-Night-Stands für andere Leute geboren wurden. Wie schwer behindert kam ich mir vor; ich, die eigentlich so lustvolle Frau, die nie genug bekommen konnte. Was hindert eine Singlefrau daran, ihre Lust in Freiheit zu leben? Warum gelingt es ihr nicht so einfach wie in der definierten Beziehung? Das interessierte mich natürlich. Und ich überprüfte die wenigen Frauen, die sich trauten, nach Lust und Laune ihren sexuellen Appetit zu stillen. Meine Freundin H. zum Beispiel. Skrupellos zog sie Abend für Abend Männer an Land und gab sich nie enden wollendem Vergnügen hin. Frauen wie sie waren dafür bereit, als Hure, Nutte, Flittchen, leichte Frau abgestempelt zu werden. Sollte das der Preis sein für die Freiheit, die ich mir erkämpfen wollte?
Hure kommt aus dem Griechischen. »Hurein« bedeutet ursprünglich eine von Männern unabhängige, selbständige Frau. So sagt es jedenfalls das Herkunftswörterbuch. »Keusch« entstammt dem lateinischen Wort »conscius – wissend, eingeweiht«. O heilige Jungfrau Maria, was ist aus dir geworden? Doch was nützen mir die Wörterbücher? Die gnadenlose Abwertung der lustvoll und allein lebenden Frau sitzt immer noch in jeder noch so kleinen Pore eines grinsenden Zeitgeistes. Anscheinend gab es keinen anderen Weg zur Befreiung als mich der Gefahr der Verbannung an den Rand der Gesellschaft zu stellen. Die fast nächtlichen Lustschreie meiner fest liierten Mitbewohnerin, die auch vor der heimlich entsetzten Nachbarschaft nicht zurückschreckte, hielten mir die nackte Einsamkeit in meinem viel zu großen Bett immer wieder vor Augen. Die Wärmflasche und die eigenen Hände waren doch nur ein schmerzlicher Ersatz – ich sehnte mich nach Lust und Liebe!
Ostern kam und einige schöne Tage in Österreich. Zu meiner eigenen Verwunderung beschenkte ich mich selbst mit einem ungewöhnlichen Souvenir. Zuhause packte ich einen Rosenkranz aus, der so groß war, dass ich mich zum Meditieren hineinsetzen konnte. Da ich zu dieser Zeit immer noch bekennende Atheistin war und sogar ganz besonders intensiv mit meiner erzkatholischen Erziehung haderte, war das, was ich tat, für mich selbst ein großes Rätsel. Diesem stellte ich mich jedoch Tag für Tag aufs Neue und verbrachte ewig erscheinende Zeiten in Meditation, umrahmt von dicken braunen Gebetsperlen. Immer wieder lauschte ich nach innen, um dem Szenario einen Sinn abzugewinnen. Immer wieder schielte ich auf den geilen Arsch neben der betenden Großmutter, wenn ich nach der Innenschau nach außen blickte. Meiner Meinung nach ist Erleuchtung nicht unbedingt nur das eine große Ereignis. Mein Leben, dem das selbige bis jetzt nicht vergönnt ist, strotzt jedoch vor vielen kleinen, ganz plötzlichen Offenbarungen, die immer wieder auftauchen, um mich ein Stück des Weges weiterzuführen.
So überkam mich damals mitten im Rosenkranz sitzend jene unumstößliche Gewissheit in einem einzigen Augenblick von Weitblick: Dieser Kranz aus Rosen würde von mir höchstpersönlich erlöst werden von seiner himmelsheiligen, fahlgelben Vergangenheit aus Sünde, Schuld und Unterdrückung weiblicher Lust! Saßen nicht in den grauen Zeiten meiner Kindheit nur Frauen Litaneien murmelnd in der Kirche – Abend für Abend? Ich jedenfalls erinnere mich an keinen einzigen Mann beim täglichen Rosenkranzgebet. Wie viel glücklicher könnte die Menschheit sein, wäre diese Zeit für Liebe und Lust genutzt worden…»Ja, diesen Rosenkranz, den will ich so beten, dass das Leben in mir glüht! Jede Perle will ich schmecken, riechen, fühlen, kosten und mich daran berauschen! Wie oft, oh Kranz des Lebens, wurden deine Perlen einfach nur gezählt, gezählt, gezählt, heruntergeleiert und abgehakt? Wie viele Leben sind in dir versiegt?« Alles in mir rebelliert! Diesen Rosenkranz ernenne ich zum Rosenkranz meiner Befreiung, der Befreiung meiner ach so angestauten Lebenslust! »Jede Perle«, flüstert er mir zu, »soll eine Liebesnacht mit einem Mann sein«. Erschreckt zähle ich nach! Sechzig Perlen sind es etwa; da beginnt sogar das Bild meiner Großmutter zu wackeln. Oder ist es nur ein Windhauch, der ermunternd durch das Zimmer weht?
Ein paar Tage später lese ich in einem Tantrabuch, dass jede gesunde Frau fünf Liebhaber verkraftet. Nach eingehender Prüfung dieser Aussage stelle ich nüchtern fest, wie prächtig es um meine Gesundheit bestellt ist und blinzle meiner Zukunft entgegen. Um mit dem Vorhaben wenigstens irgendwie zu beginnen, male ich den Rosenkranz in mein Tagebuch ab und verspreche mir, so bald wie möglich mit der neuen Aufgabe zu beginnen. Ich gehe im Kopf die Liste möglicher Liebhaber durch, die erstaunlicherweise sofort parat ist. Mein Kopf will jedoch durch seine klar gefällten Urteile die Auswahl eingrenzen. Immer wieder muss ich ihm treu versichern, dass es nicht darum gehen soll, den Mann fürs Leben zu finden und seine aufgezählten Mängel insofern nicht allzu stark ins Gewicht fallen. Eines Abends ist es dann so weit. B., der charmante Franzose, der schon seit längerer Zeit seine Bereitschaft in doppeldeutigen Bemerkungen kundgetan hatte, begleitet mich nach Hause. Vorsorglich impfe ich ihm ein, dass ich nicht auf Partnersuche bin und hinterher keine Kräfte zehrende Abgrenzungsarbeit leisten möchte. Er lächelt mich lüstern an. »Okay, cherie – kein Problemm…» Unsere Liebesnacht strotzt vor zweisprachigen Zärtlichkeiten und Liebkosungen. Ein Staudamm scheint einzubrechen. Der Anfang ist gemacht. Ich markiere eine Perle im Tagebuch und nicke zufrieden in Richtung Holzbalken.
Gleich am nächsten Tag bekomme ich Besuch von einem alten Schulfreund, der mir für mein Rosenkranzprojekt tauglich erscheint. Großmutters Bild schreit auf und will zu besonnenem Vorgehen ermahnen. »Es kommt nicht darauf an, wie die Liebesnacht wird«, säuselt dagegen mein Befreiungsplan im Kopf. »Hauptsache, geübt! Wer schwimmen lernen will, muss ins Wasser, also los!« Bei manchen Übungsstunden verschlucke ich mich. Ein anderes Mal merke ich, dass ich viel zu heftig rudere und versinke. Manche Nächte sind nicht der Rede wert, andere werden zu schönen Erinnerungen. Einige sind der pure Reinfall. Doch nichts von alledem spielt eine Rolle. Der Lehrplan schreibt vor: üben, üben, üben! Und das Korsett der Moral schrumpft nach jedem Schwimmversuch ein bisschen. Bald habe ich fünf Liebhaber, genau wie empfohlen. Drei davon sind in fester Beziehung, also ungefährlich und gut geeignet für mein freies Leben. Zwei davon lassen sich von meinen wiederholten Freiheitserklärungen nicht abschrecken und engagieren sich übermäßig, so dass ich gelegentlich in Terminschwierigkeiten komme. Was sage ich euch? Monate voller seliger Geschenke kamen auf mich zu. Ich habe in keiner Lebensphase so viele Blumensträuße und Geschenke bekommen wie in dieser. Diese Männer – auch wenn sie oft selbst zu kurz kamen, weil ich fast ausschließlich mein Selbstverwöhnungsprogramm verfolgte – haben mir geholfen, den Kampf für meine Lust als Frau zu gewinnen. Das Bild der Großmutter hat einen neuen Platz bekommen. Es hat bei meinen Nacktphotos nichts mehr zu suchen.
Dieser Rosenkranz verströmte einen einmaligen Zauber! Wie ich ihn liebte und mich trotzdem immer wieder erinnern musste, mit diesem »Beten« der besonderen Art nicht aufzuhören! Nicht zu früh aufzuhören, bevor er mich gelehrt hatte, dass ich Lust und Liebe genießen, nehmen, mir gönnen darf, ohne mich anstandshalber nach jeder Begegnung in den Mann verlieben zu müssen! Frauen haben mir diese schlechte weibliche Angewohnheit inzwischen vielfach bestätigt. Wir nehmen uns einen Liebhaber für eine Nacht. Dann kommt »Der Tag danach«: Wir setzen die Brille der Verklärtheit auf und verzerren die Erfahrung im Nachhinein zu einer wilden, leidenschaftlichen Seltenheitsromanze. Frauen halten es oft nicht aus, dass Sex und Liebe auch getrennt vorkommen können und verweben sie dann wenigstens im Nachhinein. Diese Falle ist weit aufgestellt; also Vorsicht, Singlefrauen! Jedesmal sich einlassen und dann wieder ganz loslassen, das ist eine Kunst, die gelernt sein will! Es ist dann sogar möglich, einen Menschen von Herzen und voller Lust zu lieben, einmal, einmalig! Jahre sind vergangen nach dem erfolgreichen Abschluss des Rosenkranztrainings. In einem Zentrum in Kalifornien hüpfe ich vergnügt die Straße entlang.
Da kommt mir ein auffallend schöner Mann entgegen. Da ich gerade übe, ganz im Moment zu sein und meinen Impulsen zu folgen, werden meine Schritte langsamer und seine auch, bis wir erstaunt voreinander stehen bleiben. »Hallo!«
»Hallo!« Ein etwas ratloses Lächeln hüpft von mir zu ihm und zurück. Nach einigen Worten malt die Zukunft kleine Wolken an den Himmel und es erscheint möglich, dass wir uns heute Abend bei der großen Disco sehen. Viele weitere Augenblicke lösen einander ab. So ein Tag hat unendlich viele Facetten, und bis zum Abend habe ich diese Begegnung fast vergessen. In der Disco amüsiere ich mich mit einigen Freundinnen. Es sind Hunderte von Leuten da; da ist es sowieso sehr unwahrscheinlich, jemanden zu finden, von dem man nicht einmal mehr das Gesicht kennt. Also tanze ich durch alle Momente, die das Leben mir jetzt schenkt. Als sein strahlendes Gesicht vor mir aufblitzt, heiße ich es staunend willkommen, und dann beginnt ein Reigen vollkommener Lust, ein gigantisches Klavierkonzert, bei dem keine einzige Taste ausgespart bleibt. Das ganze Spektrum des göttlichen Tanzes zwischen Mann und Frau bildet sich ab zwischen den Polen hauchfeiner Berührung und praller Leidenschaft. Draußen funkeln heute besonders viele Sterne und befruchten den Zauber reiner Gegenwärtigkeit. M. besucht mich spät in der Nacht in meinem Zimmer, das ich zuvor zu einem Tempel schmücke. Das Unfassbare, das wir auf der Tanzfläche miteinander erlebt haben, wiederholt sich hier von Neuem. Wir lachen, wir weinen miteinander, wir lieben uns die Seele aus dem Leib und singen die allerzartesten Töne ins gemeinsame Herz. Eng umschlungen, ganz voll Liebe und Seligkeit, verschlafen wir die kurze Zeit, bis uns der Morgen küsst.
Diese Nacht kristallisiert sich zu einem Diamanten im Herzen der Erinnerung. Sie wird nie mehr wiederkehren. Was könnte wiederholt, was übertrumpft werden? Diese Sternschnuppe völligen Einsseins ist die Krönung im Leben zweier Menschen, die sich dafür entschieden haben, frei zu bleiben. Sogar dieses Wissen verbindet uns wie ein unsterbliches Geheimnis und berührt unsere noch verwobenen Seelen schmerzlich und tief. Innig kosten wir miteinander unsere liebevoll ineinander strömenden Abschiedstränen. Sich entfernende Schritte verhallen, während das Herz zu leuchten beginnt, staunend und dankbar. Für mich waren die Singlezeiten wichtige Lebensetappen, in denen ich Schritte gemacht habe, die in einer Bindung so nicht möglich gewesen wären. Ich habe die Vorzüge und Nachteile des Singleseins kennengelernt, und auch die des Ehelebens. Wie schön, dass alles seinen Platz haben darf – und wenn wir es voll zulassen, uns mit Erfahrungen reich beschenkt. (veröffentlicht im Connection Tantra Special Nr. 78 "Freiheit" (I/06)
Buch von Regina Heckert
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